Wirksame Unternehmensverantwortung: Wieso der indirekte Gegenvorschlag die bessere Lösung ist

19.10.2020

Am 29. November wird mit der sogenannten «Konzernverantwortungsinitiative» über eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Vorlagen der letzten Jahre abgestimmt werden. Entgegen ihrem Label erfasst diese Initiative nicht nur Konzerne, sondern alle Schweizer Unternehmen, welche Güter und Dienstleistungen aus dem Ausland beziehen, egal ob als Produzent oder als Importeur. Richtigerweise sollte die Initiative denn auch als «Unternehmensverantwortungsinitiative» (UVI) bezeichnet werden. 

Ein Gastkommentar von Dr. Tobias Meili, Rechtsanwalt

Einleitend muss eine Selbstverständlichkeit festgehalten werden: Abstimmen werden wir am 29. November nicht über die - unbestritten lobenswerte - Zielsetzung der Initiative, also die weltweite Verbesserung der Menschenrechte und der Schutz der Umwelt, sondern über einen konkreten Vorschlag, wie dieses Ziel durch gesetzgeberische Massnahmen in der Schweiz erreicht werden soll. Mit dieser Abstimmung greift der Schweizer Souverän somit direkt in die Art und Weise ein, wie Schweizer Unternehmen ihr Geschäftsmodell, insbesondere ihre Zuliefererkette, in Zukunft auszugestalten haben. Dass dieser Entscheid für die betroffenen Unternehmen mit Aufwand und Kosten verbunden sein wird, muss jedermann klar sein. Unbestritten sollte auch sein, dass diesem Aufwand gesamtheitlich betrachtet eine positive Wirkung gegenüberstehen muss. Das Gefühl, das «Richtige» getan zu haben oder der Anspruch, die Schweiz als «Vorreiter» zu positionieren, können nicht genügen.

Der Fokus dieses Artikels liegt dementsprechend auf der Zweckmässigkeit beziehungsweise Wirksamkeit der Initiative sowie des indirekten Gegenvorschlages.

Der indirekte Gegenvorschlag, welcher die Bundesversammlung der Initiative gegenübergestellt hat, und welcher bei einer Ablehnung der KVI/UVI automatisch in Kraft treten würde, hat im Abstimmungskampf bisher kaum mediale Beachtung gefunden. Die Initianten, etwa Dirk Marty, tun den indirekten Gegenvorschlag denn auch als bestenfalls untaugliches Alibi-Instrument ab: «Der Alibi-Gegenvorschlag ist wirkungslos. Wir wissen alle, dass gerade die skrupellosesten Grosskonzerne noch so gerne Hochglanzbroschüren veröffentlichen. Erst wenn Menschenrechtsverletzungen auch Konsequenzen haben und sie dafür geradestehen müssen, werden alle Konzerne anständig wirtschaften». Hält diese Aussage einem Faktencheck stand?

Gegenvorschlag ist eine Erweiterung bestehender Gesetze

Der indirekte Gegenvorschlag stellt kein eigenständiges Gesetz dar. Es handelt es sich vielmehr um Erweiterungen bestehender Gesetze (OR und StGB). Inhaltlich orientiert sich der Gegenvorschlag weitgehend am EU-Recht. So soll für grosse Unternehmen eine Pflicht zur Berichterstattung zu nicht-finanziellen Belangen eingeführt werden, in Anlehnung an die entsprechende EU-Richtlinie 2014/95, welche mittlerweile von allen EU-Staaten in nationales Recht übersetzt worden ist. Die Berichterstattungspflicht soll Umweltbelange (einschliesslich CO2-Ziele), Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Korruption umfassen. Sodann führt der indirekte Gegenvorschlag für alle Unternehmen eine Sorgfaltsprüfungs- und Berichterstattungspflicht betreffend (a) die Einfuhr sowie die Bearbeitung bestimmter Mineralien und Metallen (Zinn, Tantal, Wolfram, Gold) aus Konflikt- und Hochrisikogebieten ein, dies in Anlehnung an die EU-Verordnung 2017/821, sowie (b) das Anbieten von Produkten bzw. Dienstleistungen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt bzw. erbracht wurden.

Diesbezüglich ist der indirekte Gegenvorschlag vergleichbar mit dem niederländischen Gesetz zur Sorgfaltspflicht hinsichtlich Kinderarbeit («Wet Zorgplicht Kinderarbeid»), welches voraussichtlich erst 2022 in Kraft tritt. Verletzungen der Berichterstattungspflichten können mit Bussen bis zu 100'000 Franken bestraft werden. Von einer Alibi-Übung kann somit keine Rede sein: Unternehmen, welche ihre Berichterstattungspflicht nicht ernst nehmen und nur «Hochglanzbroschüren veröffentlichen», haben strafrechtliche Verfolgung zu gewärtigen. Mit dem indirekten Gegenvorschlag würde die Schweiz ihre Gesetzgebung nicht nur mit der derzeitigen Regulierung im EU-Raum harmonisieren, sie behielte auch die Flexibilität, künftige Entwicklungen wie beispielsweise die angedachte EU-Regulierung der Lieferketten aufmerksam zu verfolgen und - soweit dies vom politischen Konsens getragen würde - durch Weiterentwicklung des nationalen Rechts nachzuvollziehen.

Zu den positiven oder negativen wirtschaftlichen Konsequenzen bzw. der mutmasslichen Wirksamkeit der KVI/UVI in der Schweiz und im Ausland lassen sich keine gesicherten Aussagen machen. Eine solche Analyse würde voraussetzen, dass ein entsprechendes Ausführungsgesetz während einer gewissen Zeit in Kraft gewesen wäre. Diesbezüglich lohnt sich indessen ein Blick über die Landesgrenze nach Frankreich, da dort diese Voraussetzung betreffend die «loi n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d'ordre» (nachfolgend «Loi de Vigilance») erfüllt. Interessant ist ein Blick auf die Loi de Vigilance auch deswegen, weil diese von den Initianten gerne als Referenzgesetz dargestellt wird.

Im Auftrag des französischen Wirtschafts- und Finanzministers Bruno Le Maire untersuchte der Conseil Général de l'Économie verschiedene Aspekte zur Wirksamkeit der Loi de Vigilance und erstellte einen im Januar 2020 veröffentlichten Bericht dazu.

Zwar kommt der Bericht – wenig überraschend – zum Schluss, dass die Loi de Vigilance insofern nützlich («utile») sei, als dass Prinzipien des soft law in zwingendes französisches Recht transformiert worden seien. Der Bericht äussert sich aber auch erfrischend offen zu den Schwächen der Loi de Vigilance: Gerade betreffend den Systemwechsel von «soft law» zu «hard law» führt der Bericht aus, dass dies zur Folge gehabt habe, dass die betroffenen Unternehmen nun vermehrt eine streng rechtliche, auf Einhaltung des Gesetzes fokussierte Haltung einnähmen:

«Les entreprises sont en tout cas sensibles à cette incertitude juridique et souhaitent s'en prémunir, présentant leur Plan de vigilance, formellement, comme un argument pour répondre à l'avance aux attaques quelles pourraient subir. Celui-ci deviendrait alors un document seulement de «conformité» formelle sur le plan juridique...».

Diese Verrechtlichung habe dazu geführt, dass sich anstelle eines konstruktiven Dialogs zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern ein Klima des Misstrauens breitgemacht habe:
«La judiciarisation des relations avec les parties prenantes, au lieu d'inciter les entreprises et leurs parties prenantes à engager et entretenir un dialogue constructif pour améliorer les pratiques et répondre aux situations locales, instaure un climat de défiance.»

Der Bericht äussert denn auch die Befürchtung, dass ohne Verbesserung des Dialogs zwischen Unternehmen und NGOs die Sorgfaltsprüfungspflicht der Unternehmen zu einer reinen Papierübung (tick the box) verkommen könnte. Auch bestünde die Gefahr, dass Unternehmen versucht sein könnten, ihre Lieferketten zu straffen, zum Schaden von kleineren Zulieferern in aus menschenrechtlicher Optik problematischen Ländern. Dies nicht zuletzt wegen des gerichtlichen Durchsetzungsmechanismus der Loi de Vigilance, welcher sich – ganz im Unterschied zum Schlichtungsverfahren vor dem französischen Nationalen Kontaktpunkt (NKP) – bisher weder quantitativ – nur 3 Fälle wurden bisher anhängig gemacht – noch qualitativ positiv bemerkbar gemacht habe. Betreffend der wirtschaftlichen Folgen der Loi de Vigilance stellt der Bericht ernüchtert fest, dass den betroffenen französischen Unternehmen, deren Anzahl aufgrund des unglücklich gewählten Anwendungskriteriums (Zahl der Angestellten) nur geschätzt werden kann (ca. 200 – 250), erheblicher interner und externer Aufwand entstanden sei. Aus diesem Grund legt der Bericht nahe, den Anwendungsbereich des Gesetzes auf die grössten Unternehmen zu beschränken und nicht zu stark zu erweitern («ne pas élargir trop la cible.»). Dass sich die durch die Sorgfaltsprüfungspflicht entstehenden direkten und indirekten Kosten in höheren Preisen für die betreffenden Produkte und Dienstleistungen niederschlagen werde, müsse den Konsumenten, welche ein verstärktes Engagement der Unternehmen einforderten, bewusst sein. Wiederholt äussert der Bericht die Befürchtung, dass französischen Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten durch die Loi de Vigilance Wettbewerbsnachteile entstünden, da letztere Zugang zum französischen Markt hätten, ohne aber die Verpflichtungen der Loi de Vigilance einhalten zu müssen. Der Bericht fordert denn auch als konkrete Massnahme eine Ausweitung der Sorgfaltsprüfungspflicht auf europäischer Ebene («par souci d'une concurrence à armes égales, l'élargissement du Devoir de vigilance à un niveau européen serait souhaitable»). Inwiefern dieser Wunsch nach einer entsprechenden Änderung der EU-Richtlinie 2014/95 von einem Konsens in der EU getragen werden wird, wird sich weisen müssen.

Zusammenfassend bedeutet das:
  • Der indirekte Gegenvorschlag widerspiegelt die europäische «best practice» in Sachen Sorgfaltsprüfungs- und Berichterstattungspflicht betreffend Wahrung der Menschenrechte. Eine Verletzung der Berichterstattungspflichten kann strafrechtlich geahndet werden.
  • Die in Frankreich mit der Loi de Vigilance gemachten Erfahrungen bestätigen die Befürchtung, dass mit der Einführung einer zivilrechtlichen Haftung eine Verrechtlichung menschenrechtsbezogener Themen erfolgt. Die bisher gelebte, pragmatische und lösungsorientierte Kooperation zwischen Unternehmen, staatlichen Behörden und Vertretern der Zivilgesellschaft wird verdrängt von einem auf Risikominimierung ausgerichteten Formalismus und einem konfrontativen Misstrauen. Dass dies nicht im Interesse der Personen liegen kann, welche vor Ort von Missständen betroffen sind, ist offensichtlich.
  • Der Bericht zur Loi de Vigilance belegt die hohe Glaubwürdigkeit des französischen NKP bei Unternehmen und Arbeitnehmerorganisationen und die Wirksamkeit des NKP-Schlichtungsverfahrens. In der Schweiz fungiert das SECO als nationaler NKP, dessen Professionalität und Glaubwürdigkeit von der OECD kürzlich als Resultat einer «peer review»-Prüfung bestätigt wurde. Nach der 2018 erfolgten Umsetzung weiterer Verbesserungen empfiehlt sich das NKP-Schlichtungsverfahren beim SECO als effektives Instrument zur Untersuchung behaupteter Verletzungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen im Rahmen von «specific instance procedures». Parallele bzw. überlagernde Haftungsprozesse vor staatlichen Gerichten erscheinen mit dem NKP-Schlichtungsverfahren als kaum vereinbar, da letzteres wesentlich auf einem durch den NKP vermittelten lösungsorientierten, vertraulichen Dialog zwischen den Parteien aufbaut.
Dr. Tobias Meili, LL.M., ist Rechtsanwalt und Partner bei Wenger Plattner

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