Initiativflut bringt Schweiz ins Stottern

19.11.2018

Sie läuft und läuft und läuft. Die Schweiz wird oft mit einer gut geölten Maschine verglichen: Vielleicht etwas altmodisch und schwerfällig, dafür aber robust, zuverlässig und berechenbar, insbesondere auf politischer Ebene. Doch das scheint sich zu ändern. Mit politischen Vorhaben wird versucht, Grundlegendes auf den Kopf zu stellen.

Die direkte Demokratie der Schweiz hat viel dazu beigetragen, unser Land stabil und wohlhabend zu machen. In den letzten Jahren aber wird die Volksinitiative – ursprünglich als Instrument für im Parlament nicht vertretende Gruppen und Positionen gedacht – immer stärker von gewichtigen politischen Akteuren dazu genutzt, zentrale Werte zur Disposition zu stellen. Als Paradebeispiel kann hier die SVP dienen. Sie hat 2014 erfolgreich eine Verringerung der Zuwanderung verlangt. Dem Anliegen wurde in Bern Rechnung getragen, unter Beachtung der restlichen Bundesverfassung und der völkerrechtlichen Verpflichtungen. Doch die Partei will nun mit ihrer «Selbstbestimmungs»-Initiative erreichen, dass Initiativtexte künftig wörtlich umgesetzt werden, ohne Rücksicht auf andere Verbindlichkeiten. Und sie fordert neuerdings mittels «Kündigungsinitiative» den Ausstieg der Schweiz aus den wichtigsten bilateralen Verträgen mit der EU und entzieht unseren Unternehmen damit den direkten Zugang zu ihrem bedeutendsten Absatzmarkt.

Am linken Rand des politischen Spektrums sieht es nicht besser aus. Von dort werden Initiativen lanciert oder unterstützt, die vorschreiben, dass Schweizer Gesetze und Normen auch im Ausland durchgesetzt werden müssen. Die «Fair Food»- und die Konzernverantwortungsinitiative bedingen staatliche Kontrollen oder Gerichtsurteile zu Produktionsbedingungen in fernen Ländern – eine beinahe schon kolonialistische Vorstellung.

Absatzmärkte essenziell

Diese Initiativen aus beiden Richtungen würden, wenn sie eine Mehrheit finden, die gut geölte Maschine mehr als nur ins Stottern bringen. Die Vorstellung, dass wir unsere Rechtsnormen ohne jede Rücksicht auf die Welt um uns herum aufstellen können, ist ebenso abwegig wie der Traum, diese Normen der ganzen Welt aufzuzwingen. Beides schadet dem Wirtschaftsstandort massiv – insbesondere weil es jahrelange Rechtsunsicherheit nach sich zieht und den Ruf der Schweiz als verlässliche Vertragspartnerin aufs Spiel setzt. Wir sind eine Exportnation. Als solche sind wir darauf angewiesen, dass internationale Verträge beachtet werden und uns der Zugang zu Absatzmärkten nicht verbaut wird.

Es ist bedauerlich, dass das Initiativrecht heute immer seltener im Sinne der Erfinder genutzt wird, sondern häufig der wahlkampftaktischen Profilierung von politischen Akteuren dient. Das Wohl des Landes und nachhaltige, pragmatische Lösungen haben im Vergleich dazu einen schweren Stand, weil sie sich nicht derart marktschreierisch vermarkten lassen. Gegensteuer geben können nur die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger: Indem sie diesen populistischen Initiativen konsequent ihre Zustimmung verweigern.

 

von Prof. Rudolf Minsch, Chefökonom economiesuisse, der Artikel ist in unserer aktuellen twice-Ausgabe erschienen

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