«Das Unternehmen digitalisiert sich in jedem Fall»
Digitalisierung bedeutet nicht, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr geht es darum, bestehende Technologien zum Unternehmen passend einzusetzen. Ein Interview mit Urs Grütter, CEO und VR-Präsident der Stöcklin Logistik AG in Dornach und Vorstandsmitglied der Handelskammer beider Basel.
Digitalisierung bedeutet nicht, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr geht es darum, bestehende Technologien zum Unternehmen passend einzusetzen. Ein Interview mit Urs Grütter, CEO und VR-Präsident der Stöcklin Logistik AG in Dornach und Vorstandsmitglied der Handelskammer beider Basel.
Wenn von der Digitalisierung die Rede ist, kommt früher oder später unweigerlich die Feststellung, dass sie Chance und Herausforderung zugleich ist. Ist die grösste Herausforderung überhaupt, den Zug nicht zu verpassen?
U. Grütter: Derzeit passiert so viel, jeden Tag gibt es in unterschiedlichsten Sektoren wieder Neuerungen und Veränderungen - alles kann man nicht mitmachen. Entscheidend ist, die grossen Trends nicht zu verpassen. Für Unternehmer heisst dies, sie müssen den Überblick bewahren, was wirklich relevant ist und wo Wettbewerbsvorteile oder -nachteile entstehen könnten.
Wenn Sie Ihr eigenes Unternehmen betrachten - wie sehr hat die Digitalisierung Ihr Geschäft verändert?
U. Grütter: Sie hat zur Vernetzung verschiedener interner Systeme geführt. In 80 Jahren Unternehmensgeschichte haben sich grössere, manchmal proprietäre Systeme etabliert. Rundherum existieren zahlreiche kleinere, die irgendwie angebunden sind, aber nicht so, dass ein nahtloser Austausch stattfinden könnte. Hier war - und bleibt - die Herausforderung, eine effiziente Lösung zu kreieren. Wobei es bei unserer Unternehmensgrösse das eine System wohl nie geben wird. Doch die grossen administrativen Vorgänge müssen letztlich komplett miteinander vernetzt sein, sonst entstehen zu viele Kosten in den internen Prozessen.
Die andere Ebene sind unsere Produkte. Unter anderem bieten wir ganze Logistik-Systeme an, die alles beinhalten können von Kränen und Fördertechnik über deren Steuerung bis hin zur Warehouse Management Software. Hier hat die Digitalisierung vieles verändert. Die Systeme melden von sich aus, welches Element wann eine Wartung benötigt. Darüber hinaus werden Verfügbarkeit und Auslastung der Anlagen überwacht: Stehen weniger Aufträge an, müssen die Maschinen nicht weiter auf Vollgas fahren, sondern reduzieren den Output - und damit den Verschleiss. Dank der Digitalisierung ist dies heute mit einem vertretbaren Aufwand machbar.
Könnten Sie ein Vorzeigeprojekt nennen, das die Digitalisierung gut illustriert?
U. Grütter: Schwierig - denn die Digitalisierung spielt heute in all unseren Projekten eine wichtige Rolle. In der Logistik gab es nicht plötzlich den Quantensprung, sondern die Möglichkeiten sind über die Jahre gewachsen und werden immer selbstverständlicher genutzt. Ein grosses Distributions-Center mit entsprechendem Warenfluss muss sich heute selbst steuern können. Deswegen benötigen die Leute, die es bedienen, stets topaktuelles Wissen, um die Systeme optimal einzusetzen. Die Maschine mit isolierter Steuerung ohne Anbindung an das Gesamtsystem gibt es schon länger nicht mehr. Heute steigt nur noch der Grad der Integration beispielsweise mit Warenwirtschaftssystemen. Denn Digitalisierung bedeutet häufig, die Möglichkeiten der Vernetzung der einzelnen Komponenten zu nutzen.
Sie sprechen auch das Personal und seine Qualifikationen an. Häufig wird dies von KMU als eine der Hürden auf dem Weg zur Digitalisierung genannt: Es sind einfach nicht ausreichend Arbeitskräfte mit den benötigten Qualifikationen verfügbar. Stellen Sie dies auch so fest?
U. Grütter: Als Unternehmen mit 500 Mitarbeitenden stehen unsere Chancen verhältnismässig gut - aber auch wir haben bisweilen Probleme, die gewünschten Leute zu finden. Kleineren Unternehmen fällt es sicher noch weit schwerer, weshalb sie oft mit externen Partnern zusammenarbeiten. Es werden heute bereits mehr junge Menschen mit den passenden Qualifikationen ausgebildet, aber es stehen noch nicht genügend von ihnen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Deshalb müssen wir in der Region Basel auch darum bemüht sein, diese Ausbildungswege anzubieten und zu fördern - gerade weil wir uns in den letzten Jahren sehr auf Pharma und Life Sciences konzentriert haben. Denn die Digitalisierung ist nicht nur eine Frage der Entscheidung, sondern auch eine Frage des vorhandenen Wissens.
Doch lassen Sie mich festhalten: Es gibt nicht den einen Digitalisierungs-Champion, der Ihnen exakt sagt, wie es laufen muss. Natürlich existieren sinnvolle Verhaltensmuster, aber vor allem hat jedes Unternehmen seine DNA, die in die Digitalisierung eingebracht werden muss. Deshalb benötigen Sie in Ihrem Unternehmen die entsprechend ausgebildeten Mitarbeitenden, welche die Instrumente sehen und den Betrieb verstehen. Es geht nicht darum, neue Technologien zu erfinden, sondern die bestehenden Technologien auf die für Ihr Unternehmen passende Art einzusetzen. Das ist pragmatische und praktische Digitalisierung für KMU.
Also spielt die Digitalisierung auch in Ihrer Personalpolitik eine Rolle - und das nicht nur bei leitenden Ingenieuren?
U. Grütter: Absolut. Wir können es uns heute gar nicht mehr leisten, Mitarbeiter einzustellen, die keinen Zugang zu diesem Thema haben. Letztlich benötigt jeder diese Instrumente und muss sie einsetzen können, um erfolgreich zu sein. Denn fest steht: Das Unternehmen digitalisiert sich in jedem Fall. Die Aufgabe der Mitarbeiter ist es, diesen Weg aktiv mitzugehen.
Bundespräsiedentin Doris Leuthard forderte am Swiss Economic Forum von den Schweizer Unternehmen mehr Mut bei der Digitalisierung. Sehen Sie das auch so? Brauchen wir mehr Mut?
U. Grütter: An Mut fehlt es nicht. Solche Fälle mag es geben, aber sie stellen nicht die Regel dar. Wesentlich häufiger dürfte es Unternehmen geben, die nicht ausreichend Chancen erkannt haben, um das Thema anzugehen. Genau dafür ist auch die Initiative der Handelskammer beider Basel gut: Unternehmen haben die Möglichkeit, gemeinsam mit Spezialisten zu checken, wo sie eigentlich stehen. Das trägt sicherlich dazu bei, das eine oder andere Digitalisierungsprojekt auszulösen.
Herr Grütter, vielen Dank für dieses Gespräch. Erfahren Sie mehr über unsere Initiative: www.are-you-digital.ch