Digitalisierte Gesundheitsdaten sind wichtig für die Forschung
Die Schweiz braucht dringend ein digitalisiertes und vernetztes Gesundheitsdatenökosystem. Davon profitieren in erster Linie Patientinnen und Patienten, weil die Forschung auf der Grundlage von auf breiter Basis erfasster und zur Verfügung stehender Gesundheitsdaten schneller bessere und individueller auf Krankheitsbilder zugeschnittene Resultate erzielen kann. Sagt im «tribune»-Interview der Vizerektor Forschung der Universität Basel.
Herr Professor Schwede, welche Chancen ergeben sich aus der Nutzung von Gesundheitsdaten für die Wissenschaft?
Für die Wissenschaft bietet der Zugang zu hochwertigen Gesundheitsdaten vielversprechende Möglichkeiten, um komplexe Zusammenhänge anhand von Routinedaten aus dem klinischen Alltag zu erforschen. Dieser Ansatz ist komplementär zur Grundlagenforschung an Modellsystemen im Labor und gezielten klinischen Studien. Die Analyse solcher «real world»-Datensätze ermöglicht es, Zusammenhänge und Muster in Krankheitsverläufen zu erkennen und so neue Hypothesen für die Forschung zu gewinnen. Letztendlich erlaubt die Zusammenführung dieser unterschiedlichen Daten ein ganzheitliches Bild des Patienten zu gewinnen.
Welcher Nutzen resultiert für die Gesellschaft?
Die effektive Nutzung von Gesundheitsdaten bietet für uns alle viele Chancen. Aus der Sicht des einzelnen Patienten ermöglicht es die datenbasierte Personalisierung der Behandlung, jeweils die beste Therapie auszuwählen – ein Ansatz der Präzisionsmedizin, der heute bereits in der Krebsbehandlung erfolgreich zum Einsatz kommt. Die Nutzung von Gesundheitsdaten erlaubt es aber auch, die Erkenntnisse aus der Forschung schneller zurück in die Klink zu spielen. Auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene sind Gesundheitsdaten eine unverzichtbare Informationsquelle zur Steuerung und Weiterwicklung des Gesundheitssystems. Die Anfangsphase der Pandemie hat uns deutlich die Notwendigkeit eines offenen und zuverlässigen Gesundheitsdatenökosystems in der Schweiz vor Augen geführt.
Woher bezieht die Wissenschaft gesundheitsbezogene Daten?
Die Forschung nutzt ein breites Spektrum an gesundheitsbezogenen Daten. Diese werden oftmals speziell für eine Studie erhoben; manchmal können auch Daten aus internationalen Forschungszusammenarbeiten und Biobanken genutzt werden. Zunehmend sollen Routinedaten aus Schweizer Spitälern einbezogen werden. Die SPHN Swiss Personalized Health Network-Initiative die technischen Grundlagen und administrativen Prozesse für eine effektive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Spitälern und den Forschenden.
Welche Art von Daten sind für die Forschung relevant?
Die spezifischen Anforderungen an die Daten hängen von der konkreten Fragestellung ab. Forschung im Bereich der Epidemiologie oder der Gesundheitsökonomie kann meistens mit aggregierten und vollständig anonymisierten Datensätzen durchgeführt werden. Hingegen erfordert die Forschung zu den molekularen Grundlagen von Krankheiten oder der personalisierten Medizin häufig genetische Informationen. Um die Frage «Welche Therapie ist für wen am besten geeignet?» zu beantworten, sind offensichtlich Daten auf Ebene des einzelnen Patienten erforderlich. Selbstverständlich unterliegen solche Forschungsprojekte der Aufsicht der Ethikkommissionen und die Daten werden nur mit dem Einverständnis der Patienten und verschlüsselt, das heisst de-identifiziert, genutzt.
Können Sie ein konkretes Projekt schildern, in welchem die Universität gesundheitsbezogene Daten nutzt?
Betrachten wir zwei Beispiele aus der Infektiologie. Im Rahmen des SPHN-Projekts «Personalized Swiss Sepsis Study» werden die Daten von intensivmedizinisch betreuten Patientinnen und Patienten an verschiedenen Spitälern in der Schweiz erfasst und zusammengeführt. Computeralgorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz sollen dann anhand von Mustern in den Daten erkennen lernen, welche Patienten eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen schweren Sepsis-Verlauf haben und frühzeitig behandelt werden müssen. Oftmals sind multiresistente Bakterien für schwere Krankheitsverläufe verantwortlich. Im Rahmen des nationalen Forschungsschwerpunkts «NCCR AntiResist» bilden Forscher am Biozentrum das Infektionsgeschehen im Labor nach, um neue Ansätze zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Bakterien zu erforschen.
Was fehlt aus Ihrer Sicht in der Schweiz, damit eine datenbasierte Gesundheitswirtschaft Realität werden kann?
Im Vergleich mit anderen Ländern hinkt die Schweiz beim Thema Digitalisierung des Gesundheitswesens hintendrein. Gerade Basel als einer der wichtigsten Life Science Standorte Europas kann es sich eigentlich gar nicht leisten, die Chancen datenbasierter Innovationen im Gesundheitsbereich zu verpassen. Die Umsetzung einheitlicher technischer und semantischer Standards für Gesundheitsdaten für alle Akteure in der Schweiz – Forschung und Gesundheitsversorgung – wäre eine wichtige Voraussetzung für eine nationale Dateninfrastruktur mit internationaler Anbindung. Darüber hinaus bedarf es aber vor allem auch eines Kulturwandels, um das Potential von Gesundheitsdaten nachhaltig zu nutzen. Ein entsprechender rechtlicher Rahmen sollte faire Spielregeln für den Datenzugang festlegen und die Rechte der Beteiligten schützen. Ein erfolgreiches Gesundheitsdatenökosystem muss aufzeigen können, dass es gesamtgesellschaftlich und für den einzelnen Bürger wirtschaftliche und gesundheitliche Vorteile bietet.
Interview: Jasmin Fürstenberger
Prof. Dr. Torsten Schwede ist Vizerektor Forschung der Universität Basel und Professor für Bioinformatik am Biozentrum und dem SIB Swiss Institute for Bioinformatics. Im Rahmen der SPHN Swiss Personalized Health Network Initiative engagiert er sich für den Aufbau einer nationalen Gesundheitsdateninfrastruktur in der Schweiz.