In Unternehmen vertrauen
Während viele Länder in Europa, aber auch die USA massive Konjunkturprogramme starten, um ihre Wirtschaft am Laufen zu halten, setzt die Schweiz auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen. Welcher Weg langfristig erfolgreicher ist, das haben wir für unser Magazin twice Botschafter Dr. Eric Scheidegger gefragt, Leiter Direktion für Wirtschaftspolitik und stellvertretender Direktor des SECO.
Herr Scheidegger, immer mehr Länder kurbeln mit Konjunkturprogrammen ihre Wirtschaft an. Warum?
Die jüngsten industriepolitischen Initiativen werden unterschiedlich begründet. Einerseits sollen gemäss den Programmtexten sogenannte strategische Abhängigkeiten in den Wertschöpfungsketten reduziert werden. Dies als Lehre aus dem Ukraine-Krieg und der Covid-Pandemie. Andererseits werden sie damit begründet, dass die Transition hin zu einer grünen Wirtschaft staatliche Subventions- und Investitionsprogramme verlange, damit die EU oder die USA die Dekarbonisierung erfolgreich bewältigen können. Insofern steht zumindest aktuell nicht mehr das konjunkturpolitische Argument im Vordergrund, sondern andere politische Zielsetzungen.
Weshalb sind Instrumente wie Subventionen umstritten?
Bei den industriepolitischen Programmen im Ausland stellt sich in vielen Bereichen oft auch die Frage, ob überhaupt ein staatliches Eingreifen – ob durch Subventionen oder mit anderen Instrumenten – notwendig ist. Zumindest diejenigen Programme, welche versuchen, aktiv Investitionen von Unternehmen dank Subventionen in das eigene Land zu lenken, sind kaum mit einem Marktversagen zu begründen. Diese Programme werden eher durch geopolitische oder sicherheitspolitische Motive begründet. Subventionen in einem solchen Kontext drohen den Wettbewerb zu verzerren und führen zu Überkapazitäten. Ein Paradebeispiel ist hier die Stahlindustrie. Seit Jahrzehnten subventionieren zahlreiche Länder ihre Stahlproduktion, weshalb es weltweit Überkapazitäten gibt.
Welche Strategie verfolgt die Schweiz?
Die Schweizer Wirtschaftspolitik setzt auf möglichst gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen für alle Unternehmen anstatt auf Subventionen für ausgewählte Branchen, Unternehmen oder Technologien. Dies spiegelt die Überzeugung wider, dass die Unternehmen selbst am besten wissen, in welchen Bereichen sie sich spezialisieren müssen, um langfristig international wettbewerbsfähig zu sein. Wer von staatlicher Unterstützung abhängig ist, kann nicht fit werden. Der erfolgreiche Werkplatz Schweiz scheint dieser Strategie recht zu geben. So ist der Wertschöpfungsanteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP in der Schweiz weiterhin relativ hoch und die Schweiz gehört gemäss verschiedenen internationalen Rankings wie beispielsweise dem European Innovation Scoreboard zu den innovativsten Volkswirtschaften. Zudem haben wir eine weltweit rekordhohe Erwerbsquote. Die Unternehmen schaffen sehr viele interessante und gut bezahlte Jobs.
Wirkt sich die ausländische Industriepolitik auf die Schweiz aus?
Die ausländischen Initiativen wie der Inflation Reduction Act in den USA oder der Green Deal Industrial Plan der EU enthalten verschiedene Ziele und Massnahmen. Ein guter Teil kann als horizontal – also quer über alle Bereiche – wirkende Massnahmen kategorisiert werden, welche auch die Schweiz in der einen oder anderen Form verfolgt. Dazu gehört zum Beispiel die Förderung des Wissenstransfers von Hochschulen zu Unternehmen oder die Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Solche Massnahmen können zur wirtschaftlichen Dynamik im Ausland beitragen, wovon auch die Schweiz indirekt profitiert. Verschiedene Vorhaben sind aus Sicht der Schweiz jedoch kritisch und nicht zielführend, da sie teilweise protektionistische Züge haben und den Wettbewerb verzerren können. Dies umfasst beispielsweise staatliche Beihilfen, lokale Wertschöpfungsvorgaben oder staatliche Beteiligungen an Unternehmen. Solche vertikal wirkenden Massnahmen gehen mit dem Risiko eines internationalen Subventionswettlaufs einher.
Was ist der beste Konjunkturmotor?
Zu einer langfristig guten Wirtschaftsentwicklung tragen viele Faktoren bei, wie eine leistungsfähige Infrastruktur, ein flexibler Arbeitsmarkt, hohe Offenheit oder gesunde öffentliche Finanzen. Im aktuellen Umfeld scheint oft vergessen zu gehen, dass wir die Dynamik der Schweizer Volkswirtschaft langfristig nur erhalten können, wenn wir einen funktionierenden Wettbewerb garantieren und uns nicht
künstlich davor zu schützen versuchen.
Was wünschen Sie sich von Politik und Wirtschaft?
Als Antwort auf die Initiativen im Ausland wird der Ruf nach staatlichen Subventionen für Politik und Wirtschaft verlockend sein und ist teilweise schon erklungen. Subventionen bleiben jedoch kein probates Mittel, um unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu stärken. Was ich mir wünsche, ist daher etwas mehr Vertrauen in unsere Unternehmen. Dank der guten, allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden sich die Unternehmen weiterhin auf jene Wertschöpfungsbereiche spezialisieren, in welchen sie trotz Subventionen im Ausland erfolgreich sein können.
10.11.2023 - Daniel Wiener
Das Interview mit Eric Scheidegger geht nicht tief genug. Ist die Schweiz nicht im Begriff, ihre Stahlindustrie mit Subventionen zu stützen? Als Ausgleichsmassnahme zu international üblichen Subventionen. Wäre es nicht sinnvoll, die Wertschöpfungskette erneuerbarer Energien, zum Beispiel für Solarpanels, mit besseren Rahmenbedingungen und vorübergehender Anschubfinanzierung wieder in die Schweiz zu holen, anstatt der 90-prozentigen Abhängigkeit von hoch subventionierten chinesischen Lieferanten tatenlos zuzusehen? Bis diese uns den Hahn der Energiewende abdrehen, indem sie zum Beispiel willkürlich die Preise erhöhen? Wir sollten von der Russland-Abhängigkeit im Gasmarkt lernen. In Schönheit sterben hat noch nie geholfen. Das weiss unsere hoch subventionierte Landwirtschaft ebenso wie unsere vom Staat mehrfach finanziell geförderte Tourismusbranche. Wir sind schon lange vom "Pfad der marktwirtschaftlichen Tugend" abgewichen und sollten uns nicht das Gegenteil vorgaukeln.