Die Vorteile von «Schengen» nicht leichtfertig preisgeben!
Am 19. Mai stimmen wir über unser Verhältnis zu den europäischen Nachbarn ab. Denn die Vorlage zum neuen Waffengesetz beinhaltet viel mehr als das Waffenrecht: Der Schengen-Vertrag steht auf dem Spiel und damit auch der Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Mit der Einführung von systematischen Kontrollen an unseren Grenzen würde der Personen-und Warenverkehr massiv beeinträchtigt. Ein Nein hätte deshalb für die Wirtschaft verheerende Folgen.
Verschiedene Organisationen haben das Referendum gegen die Anpassung des Schweizer Waffenrechts an die EU-Gesetzgebung ergriffen mit dem Argument, dass dadurch der Erwerb halbautomatischer Gewehre künftig erschwert würde. Dabei versuchen sie bewusst auszublenden, dass das neue Gesetz nur sehr wenige Personen betrifft. Wer seine Armeewaffe nach Dienstende behalten will, kann das auch weiterhin. Jäger sind überhaupt nicht tangiert. Mitglieder von Schützenvereinen erhalten genauso eine Ausnahmebewilligung wie Leute, die regelmässig schiessen. Somit geht es den Opponenten ums Prinzip. Da spielt es auch keine Rolle, dass der Bundesrat dafür sorgte, dass in der Schengener Waffenrichtlinie die Traditionen unseres Landes ausdrücklich berücksichtigt werden..
Waffenrecht nur Vorwand
Dabei geht es bei dieser Abstimmung nur vordergründig ums Waffenrecht. Viel wesentlicher ist: Wenn die Schweiz Nein sagt zur von ihr mitgestalteten Richtlinie, leitet sie automatisch den Austritt aus dem Schengen-Raum ein. Es braucht keine formelle Kündigung mehr. Sechs Monate später würde der Rhein zur Schengen- Aussengrenze. Als Wirtschaftsvertreterin ist mir diese Vorstellung äusserst unangenehm. Heute ist es für uns selbstverständlich, dass wir fürs Arbeiten oder in der Freizeit mal rasch die Grenze zum Elsass oder zu Baden-Württemberg überqueren. Wir nehmen sie im Alltag kaum noch wahr. Und damit sind wir am Standort Basel nicht allein; Gleiches gilt im Jura, am Bodensee, im St. Galler Rheintal. In all diesen Regionen hat man zwar auch schon früher eng mit den ausländischen Nachbarn zusammengearbeitet und sich regional vernetzt. Doch erst mit dem Schengen-er Abkommen ist die Grenze zu etwas Verbindendem anstatt etwas Trennendem geworden. Und ich meine damit nicht nur grenzüberquerende Tramlinien, sondern insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Multinationalität gefährdet
Unsere Region versteht sich heute mehr denn je als ein multinationaler Wirtschaftsraum. Die Lieferketten vieler Unternehmen – auch vieler KMU – laufen kreuz und quer über die Grenzen. Dank dieser offenen Kooperation ist Basel nicht eine Stadt in einer äusseren Ecke der Schweiz, sondern ein nach allen Seiten vernetztes Zentrum mitten im europäischen Binnenmarkt. Zu diesem Selbstverständnis passt es schlecht, wenn zwischen Riehen und Lörrach oder zwischen Allschwil und Hegenheim wieder systematische Grenzkontrollen eingerichtet werden müssen. Bereits eine Verzögerung von wenigen Sekunden pro Grenzübertritt ergibt in der Summe gewaltige Wartezeiten für Personen und Waren, die wir im Alltag alle zu spüren bekommen. Das verursacht einerseits hohe volkswirtschaftliche Kosten und reduziert anderseits ganz direkt unsere Lebensqualität.
Aus für Schengen
Das ist aber noch lange nicht alles, was mit einem Schengen-Austritt auf die Schweiz zukommen würde. Denn Schengen ist ja nicht allein als ein Raum mit Reisefreiheit innerhalb der gemeinsamen Grenzen konzipiert worden, sondern vor allem als ein Projekt zur Erhöhung der inneren Sicherheit. Herzstück dieses Projekts ist das Schengener Informationssystem (SIS II), das den Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden aller beteiligten Länder sicherstellt. So können ohne Zeitverlust und bürokratischen Zusatzaufwand Personen oder Fahrzeuge grenzüberschreitend zur Fahndung ausgeschrieben werden. Rund 50 tägliche Treffer ergeben entsprechende Abfragen allein in der Schweiz. An diesem System teilnehmen dürfen sinnvollerweise aber nur Länder, welche die gemeinsamen Sicherheitsstandards des Schengen-Raums erfüllen. Und ein solcher Standard ist auch die Waffenrichtlinie. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Unser Land wird ganz bestimmt nicht sicherer, wenn wir uns aus dieser erfolgreichen Kooperation zur Verbrechensbekämpfung verabschieden.
Tourismus nimmt Schaden
Stark von Schengen profitiert hat in den letzten Jahren aber auch der Tourismus. Das gemeinsame Visum aller Schengen- Staaten für Reisende aus China, Indien oder den arabischen Ländern hat der Schweiz Zehntausende zusätzliche Besucher beschert, von denen die meisten hier eine ordentliche Summe in Übernachtungen und Souvenirs investieren. Gerade in Zeiten, in denen der starke Franken das Urlaubsland Schweiz für europäische Besucher unattraktiv macht, konnten sich viele Betriebe dank Gästen mit Schengen-Visa über Wasser halten. Das sichert nicht nur Arbeitsplätze in Hotels, Restaurants und Seilbahnbetrieben, sondern auch in unzähligen Zulieferfirmen wie Bäckereien, Metzgereien oder Wäschereien. Wer nun meint, von diesen Vorteilen würden nur Orte wie Interlaken oder St. Moritz profitieren, liegt falsch. Gerade Städte wie Basel, in denen viele internationale Kongresse oder Messen stattfinden, ziehen eindeutig Vorteile aus dem Schengener Visaverbund. So kann beispielsweise ein Inder mit Gastprofessur in München problemlos für einen Wissenschaftskongress nach Basel reisen, während er ohne «Schengen» ein Zusatzvisum beantragen müsste.
«Dublin»-Vertrag opfern?
Dass mit dem Schengen-Vertrag auch das Dublin-Abkommen verknüpft ist, möchte ich hier nur nebenbei erwähnen. Es wird immer wieder moniert, dieses Abkommen für die Zusammenarbeit im Asylbereich funktioniere ohnehin nicht. Tatsache ist: Das mag für andere europäische Länder gelten, nicht aber für die Schweiz. Wir profitieren stark davon, dass bei uns kein Asylgesuch stellen darf, wer bereits in einem anderen europäischen Land registriert wurde. Wenn wir uns aus dem Vertrag verabschieden, kann jeder in der EU abgewiesene Asylbewerber sein Glück in der Schweiz erneut versuchen. Man kann sich gut vorstellen, was das bedeutet.
Unsere bewährte und äusserst erfolgreiche Zusammenarbeit mit unserem europäischen Umfeld erneut auf einen harten Prüfstand zu stellen, macht wenig Sinn und bringt unser Land kaum weiter.