Schweiz-EU: Wie weiter?
Seit dem Verhandlungsabbruch zum Rahmenabkommen mit der EU ist bald ein Jahr vergangen. Warum wir das Verhältnis zur EU rasch stabilisieren müssen? Darüber haben Monika Rühl und Christoph Mäder, Direktorin und Präsident economiesuisse, mit uns gesprochen.
Seit dem Verhandlungsabbruch zum Rahmenabkommen mit der EU ist bald ein Jahr vergangen. Welche Herausforderungen hat dies bei Ihre Mitgliedsfirmen ausgelöst?
Christoph Mäder: Die für die Unternehmen so wichtige Rechtssicherheit hat zweifellos gelitten. Das ist Gift für Investitionen in der Schweiz.
Monika Rühl: Zudem sind zahlreiche Unternehmen aus der Medtech-Branche beim Export in die EU mit Zusatzkosten konfrontiert.
Der fehlende Anschluss an das Europäische Forschungsprogramm Horizon Europe beschäftigt vor allem die Forschungsinstitutionen. Ist die Industrie auch davon betroffen?
Mäder: Genau. Auch die betriebliche Innovationsförderung ist nun ausgeschlossen. Für einen innovationsbasierten Standort wie die Schweiz ist das eine schlechte Nachricht.
Wie beurteilen Sie die Situation für die Grenzregionen. Leiden diese besonders unter der europapolitischen Blockade?
Mäder: Ja, hier ist die Enttäuschung über die Entwicklung besonders stark – und zwar hüben wie drüben: Die Schweizer und die EU-Wirtschaft sind in vielen Bereichen eng miteinander verzahnt – gerade in den Grenzregionen.
Was muss aus der Bundesrat Ihrer Sicht nun tun, um diese Blockade zu überwinden?
Rühl: Der Bundesrat hat einen Paketansatz beschlossen. Jetzt braucht es zügige Sondierungen mit anschliessenden Verhandlungen. Auch in der Innenpolitik braucht es jetzt einen Ruck. Es kann doch nicht sein, dass die Gewerkschaften eine Art Vetorecht haben. Sie haben vom Freizügigkeitsabkommen enorm profitiert. Also sollen sie sich jetzt mit konstruktiven Vorschlägen einbringen.
Sie haben kürzlich eine europapolitische Publikation mit dem Titel "Es ist Zeit zu handeln" veröffentlicht. Was sind die Hauptaussagen dieses Dokuments?
Mäder: Wir zeigen darin auf, warum wir rasch Lösungen brauchen – vor allem in den Bereichen Börsen und Banken, Medtech, Forschung und Strom. Immerhin hat der Bundesrat Strom und Forschung in das künftige Verhandlungspaket aufgenommen. Aber wir brauchen auch eine rasche Anpassung des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse und Lösungen für den Medtech-Sektor. Und auch unsere Banken brauchen Klarheit, wie sie ihre Kunden in der EU bedienen können.
Die Positionen der Schweiz und der EU liegen weit auseinander. Ist der Bilaterale Weg überhaupt zu retten?
Rühl: Natürlich! Es braucht jetzt aber eine zügige Vorbereitung der Verhandlungen. Wenn beide Seiten eine Lösung wollen, dann wird man sie auch finden. Die bilateralen Beziehungen sind für beide Seiten vorteilhaft und die gemeinsamen Interessen sind viel grösser als die Differenzen.
Mäder: Ganz wichtig ist auch ein JA zum Frontex-Kredit am 15. Mai. Europa ist mitten in der grössten Krise seit dem zweiten Weltkrieg. Niemand wird es verstehen, wenn die Schweiz hier angesichts der grossen Flüchtlingsbewegung den Schutz der Aussengrenzen Europas ablehnt. Es liegt also auch an uns zu zeigen, dass wir als Schweizer für Europa einstehen und unseren Beitrag leisten.
Was können die Unternehmen und die Wirtschaftsverbände dazu beitragen, damit die Beziehungen zu Europa wieder besser werden?
Mäder: Die Unternehmen können sich als Direktbetroffene in die öffentliche Debatte einbringen. Je konkreter die Europadiskussion wird, desto besser. Wir möchten gerade die Unternehmen in Grenzregionen ermuntern sich hier klar und deutlich zu äussern.
Rühl: Das gilt ganz besonders auch für die bevorstehende Volksabstimmung über Frontex. Es braucht hier auch aus der Wirtschaft ein überzeugtes JA. Die Wirtschaftsverbände und die Unternehmen in den Grenzregionen wissen am besten, welche Erleichterungen der Schengen-Raum für die Wirtschaft bedeutet.