Horizon Europe - Wissenschaft und Forschung brauchen Kooperationen
Der Abbruch des Rahmenabkommens mit der EU gefährdet den Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz. Der ETH-Rat, swissuniversities und scienceindustries fordern in einer gemeinsamen Resolution eine rasche Vollassoziierung an Horizon Europe. Wir haben mit dem scienceindustries-Direktor Dr. Stephan Mumenthaler über die Beweggründe gesprochen.
Wissenschaft und Forschung greifen selten in die Politik ein. Was hat Sie dazu bewogen, jetzt diese Resolution zu veröffentlichen?
Aufgrund der Bedeutung der europäischen Forschungszusammenarbeit, den bereits spürbaren Auswirkungen der fehlenden Assoziierung für den Schweizer Standort und nicht zuletzt der direkten Betroffenheit unserer Mitglieder war ein öffentlicher Appell unumgänglich. Unsere Industrien sind derart eng mit der Wissenschaft verknüpft, dass es Sinn machte, einen partnerschaftlichen Ansatz zu wählen.
Weshalb ist die Teilnahme an Horizon Europe so wichtig?
Die Bedeutung von Clustern und der Zugang zu wissenschaftlichen Netzwerken ist zentral für unsere Industrien. Unsere Unternehmen arbeiten heute immer stärker im Verbund mit Ausbildungseinrichtungen, Hochschulen oder anderen Kompetenzzentren. Für verschiedene Mitgliedsunternehmen von scienceindustries sind die Programmpunkte von Horizon Europe eine äusserst relevante Quelle bei der Erarbeitung neuer Technologien, bei der Entwicklung von innovativen Produkten und neuen Anwendungen für bestehende Erzeugnisse.
Was sind die Hauptforderungen der Resolution?
Der Bundesrat soll noch in diesem Jahr sein Ziel einer erneuten Vollassoziierung an Horizon Europe realisieren. Es müssen rasch alle notwendigen Massnahmen ergriffen werden, um dieses Ziel zu erreichen. Solange die Schweiz nicht an Horizon Europe assoziiert ist, braucht es zudem weitere geeignete Massnahmen, um die Exzellenz und die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Forschungs- und Innovationsplatzes zu erhalten. Wir fordern den Bundesrat auf, solche Massnahmen umgehend einzuleiten und die entsprechenden Mittel dafür zu sprechen.
Welche Auswirkungen hat die Nicht-Assoziierung für Schweizer Hochschulen oder Unternehmen?
Der forschenden Industrie droht bei der Anwerbung von Talenten künftig ein Nachteil: Wenn Forschende in der Schweiz an Einfluss und Zugang zu den europäischen Netzwerken und prestigeträchtigen Grants verlieren, dann wird der Standort Schweiz stark an Anziehungskraft verlieren. Erste Konsequenzen im Hochschul-Bereich zeigen sich bereits. So können sich Nachwuchs-Forschende nicht mehr um ERC-Forschungsgelder bewerben. Zudem haben Schweizer Forschungsleiter bei verschiedenen EU-Projekten ihre Führungsposition abgeben müssen.
Was ist der nächste Schritt, den der Bundesrat oder die EU jetzt machen müssten und wann müsste dieser spätestens erfolgen?
Das Verhältnis der EU mit der Schweiz muss auch in Zukunft dem Anspruch der Verlässlichkeit gerecht werden. Daher sollte im rasch aufzunehmenden Dialog zwischen der Schweiz und der EU sichergestellt werden, dass die forschungs- und innovationsstarke Schweiz ein wichtiger Partner für europäische Unternehmen bleibt. Bereits 2014, nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, befanden sich die beiden Akteure in der gleichen Situation. Ein erneuter Zeitbedarf von rund zwei Jahren, um eine Lösung zu finden, steht ausser Frage. Bis Ende 2022 muss ein gemeinsamer Weg gefunden und umgesetzt werden.
Sie fordern vom Bundesrat zusätzlich eine Innovationsoffensive. An welche Massnahmen denken Sie dabei?
Das Konzept des SBFI «Überbrückungs-, Ergänzungs- und Ersatzmassnahmen» wird von scienceindustries grundsätzlich unterstützt. Allerdings soll nicht Geld im Vordergrund stehen, sondern die Forschung. Hier fehlt den Unternehmen langfristig die Perspektive: Entsprechend vorsichtig agieren Firmen, wenn es um neue Investitionen geht – sollen diese in der Schweiz investieren oder doch lieber im grenznahen Ausland? Solange die Schweiz nicht an Horizon Europe assoziiert ist, braucht es daher weitere geeignete Massnahmen, um die Exzellenz und die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Forschungs- und Innovationsplatzes zu erhalten. Diese Massnahmen sollen a) zu einem forschungsfreundlichen Standort Schweiz beitragen – z.B. durch eine ausreichende und stetige Mittelversorgung der Hochschulen, b) für einen wettbewerbsfreundlichen Produktions- und Unternehmensstandort sorgen – beispielsweise durch ein international attraktives Steuerumfeld, c) weltweiten Marktzugang gewährleisten – zum Beispiel durch die Modernisierung von bestehenden oder den Abschluss neuer Freihandelsabkommen, und d) einen attraktiven Binnenmarkt fördern – beispielsweise durch eine sichere Zulassung und den raschen Zugang zu Produkten.
Vielen Dank für das Gespräch!