Sicher in die Stromzukunft
Strom wird für die Unternehmen in unserer Region und die Gesellschaft immer wichtiger. Im Winter ist die Schweiz heute jedoch auf Stromimporte angewiesen. Damit die Versorgungssicherheit auch in Zukunft gewährleistet ist, hat der Bundesrat das Gesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien erarbeitet. Wir haben mit Yves Zumwald, CEO von Swissgrid, über wesentliche Eckpunkte und Nachbesserungen am Gesetz gesprochen.
Der Bund arbeitet gegenwärtig am Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Zur Finanzierung der Energiestrategie 2050 erhebt der Bund ein Netznutzungsentgelt für Endverbraucher. Genau dieses kritisiert Swissgrid in ihrem Positionspapier. Können Sie uns erklären, worauf sich Ihre Kritik bezieht?
Angesichts des wachsenden Anteils der erneuerbaren Energien und der geplanten Abschaltung der Kernkraftwerke muss das Stromsystem flexibler werden, damit die Netz- und Versorgungssicherheit weiterhin gewährleistet bleibt. Speicher spielen eine wichtige Rolle beim Umbau des Energiesystems. So können Stromspeicher für einen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch sorgen. Heute stellen Pumpspeicherkraftwerke die wichtigste Technologie zur Speicherung von Elektrizität dar. Mengenmässig dürften sie dies zumindest mittelfristig auch bleiben. Zukünftig könnten neben Wasserspeichern aber weitere Technologien hinzukommen. Dazu gehören zum Beispiel Batteriespeicher oder Druckluftspeicher. So werden neue, kommerziell nutzbare Elektrizitätsspeicher zur Verfügung stehen, welche die Pumpspeicherkraftwerke ergänzen. Unter dieser Voraussetzung ist es wichtig, dass für alle Speichertechnologien gleiche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das schweizerische Netznutzungsmodell muss dieser Entwicklung künftig Rechnung tragen
Wer heute Elektrizität zwecks Speicherung aus dem Netz bezieht, gilt gemäss heutiger Gesetzeslage als Endverbraucher, soweit er die Elektrizität nicht für den Antrieb von Pumpen in Pumpspeicherkraftwerken verwendet. Im Rahmen des Mantelerlasses «Bundesgesetz über die Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» soll dies explizit im Stromversorgungsgesetz verankert werden. Alle Stromspeicher ausser Pumpspeicherkraftwerke müssten mit dieser Regelung künftig für den Bezug aus dem Netz immer Netznutzungsentgelt bezahlen. Die Rentabilität von anderen Stromspeichern würde sich damit erheblich verschlechtern. Ausserdem stellt diese Regelung eine technologieabhängige Ungleichbehandlung dar.
Swissgrid fordert deshalb eine Befreiung aller reinen Speichertechnologien (Speicher ohne Endverbraucher) vom Netznutzungsentgelt, damit sich unter anderem ein liquider Markt für Flexibilitäten entwickeln kann.
Der Bundesrat begründet die Ungleichbehandlung der Speichertechnologien damit, dass nur Pumpspeicherkraftwerke netzdienlich sind und andere Speichertechnologien zusätzliche Netzkosten verursachen, welche von allen Endverbrauchern getragen werden müssten. Warum greift diese Argumentation zu kurz?
In der Vergangenheit bestand eine starre Kopplung der Kraftwerke an die Lastsituation, die sich wiederum stark auf die Energiepreise auswirkte. So haben Pumpspeicherkraftwerke tagsüber Strom produziert und in der Nacht (wenn Stromverbrauch, Netzbelastung und Preise niedrig waren) Wasser hochgepumpt. In Zukunft – insbesondere bei stark steigenden Anteilen von Wind- und Fotovoltaik-Anlagen – wird das Verhalten von Kraftwerken dynamischer werden. Sinken bspw. zur Mittagszeit aufgrund hoher Fotovoltaik-Produktion die Preise, könnten Pumpspeicherkraftwerke zu diesem Zeitpunkt Energie aus dem Netz beziehen und damit Wasser hochpumpen. Gleichzeitig bleibt der Stromverbrauch zur Mittagszeit weiterhin hoch. Entstehen dadurch Engpässe im Netz, muss Swissgrid Massnahmen ergreifen. Deren Kosten tragen die Konsumenten.
Umgekehrt können sich jedoch reine Speicher (d.h. Speicher ohne Endverbraucher) ebenfalls system- und netzdienlich verhalten und beispielsweise Regelenergie anbieten.
Tappen wir mit der vorgeschlagenen Regelung zum Netznutzungsentgelt in eine Strukturerhaltungsfalle? Inwiefern können sich aufgrund des Netznutzungsentgelts neue Speichertechnologien nicht entfalten?
Mit der Umsetzung der Energiestrategie 2050 wird die Stromversorgung in der Zukunft diversifizierter sein. Das fehlende Stromabkommen führt tendenziell zu höheren ungeplanten Flüssen und Swissgrid muss vermehrt in den Netzbetrieb eingreifen. Flexibilität in der Erzeugung und der Stromnachfrage und somit der Einsatz unterschiedlichster Speicherlösungen werden eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Es müssen deshalb auch in diesem Bereich Anreize für Investitionen geschaffen werden. Mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelung würde sich aber die Rentabilität von Stromspeichern verschlechtern.
Sehen Sie die Umsetzung der Energiestrategie 2050 durch das Netznutzungsentgelt und seine möglichen Auswirkungen auf bestimmte Speichertechnologien gefährdet?
Die aktuelle Energiestrategie sieht vor, dass die Schweiz in Zukunft insbesondere im Winterhalbjahr grosse Mengen an Strom importieren kann. Ohne Stromabkommen mit der EU ist aber die Importfähigkeit aus der EU gefährdet; zudem wird sich auch der Abbau an gesicherter Kapazität wie Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke im europäischen Umfeld insgesamt negativ auf die Importmöglichkeit der Schweiz auswirken.
Wir kommen daher zum Schluss, dass mittel- und langfristig die Netz- und Versorgungssicherheit sowie die Umsetzung der Energiestrategie 2050 gefährdet sind. Dabei spielt aber das Netznutzungsentgelt und seine möglichen Auswirkungen auf bestimmte Speichertechnologien nicht die Hauptrolle.
Die Realisierung eines Stromabkommens mit der EU ist aufgrund des Scheiterns des institutionellen Rahmenabkommens auf Eis gelegt. Bereits wurden Stimmen laut, die den Bau neuer Kernkraftwerke fordern. Sehen Sie eine Alternative zum Stromabkommen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit in der Schweiz? Kann die Schweiz ohne ein solches Abkommen die Versorgungssicherheit langfristig gewährleisten?
Die Gewährleistung einer nachhaltigen Netz- und Versorgungssicherheit für die Schweiz muss das oberste Ziel sein. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht die Schweiz im Winterhalbjahr einen angemessenen Anteil an inländischer Stromproduktion, sie braucht die Modernisierung der Netzinfrastruktur («Strategisches Netz») und innovative Marktlösungen, die Anreize schaffen. Grundsätzlich muss es möglich sein, die Versorgungssicherheit auch ohne ein Stromabkommen langfristig zu gewährleisten. Die Massnahmen zur Sicherstellung der Netzstabilität sind jedoch sehr teuer.
Fakt ist aber, dass die stark vernetzte Schweiz von den Gegebenheiten in den Nachbarstaaten und von der EU-Gesetzgebung - namentlich ihren technischen und kommerziellen Spielregeln - abhängt. Während die EU den Strombinnenmarkt seit Jahren stetig weiterentwickelt, ist die Schweiz heute bei relevanten europäischen Prozessen ausgeschlossen. Durch den Ausschluss bei zahlreichen Gremien hat sie kein Mitspracherecht. Das hat negative Auswirkungen auf die Netzstabilität und auf die Versorgungssicherheit.
Ohne Rahmenabkommen ist die EU nicht bereit, ein Stromabkommen abzuschliessen, mit dem in erster Linie gleich lange Spiesse im Wettbewerb auf dem EU-Binnenmarkt hergestellt würden. Daher erscheint es aus unserer Sicht sinnvoll, ein rein technisches Abkommen ohne Inklusion der wirtschaftlichen Aspekte (Binnenmarktzugang) anzustreben. Dieses würde die für die Netzsicherheit relevanten Fragestellungen regeln. Technisch und konzeptionell wäre dies mit dem entsprechenden politischen Willen wohl umsetzbar. Hätten wir die Netzstabilität gewährleistet, wäre der fehlende Binnenmarktzugang zu verkraften. Es hängt aber primär vom Willen der EU ab, überhaupt auf Verhandlungen eines solchen Abkommens einzutreten.
Sehen Sie weitere aktuelle Entwicklungen, welche die Versorgungssicherheit in der Schweiz gefährden oder gefährden könnten?
Swissgrid sieht für die Zukunft verschiedene Herausforderungen im Netzbereich. Das gesamte Energiesystem unterliegt heute einem fundamentalen Wandel durch die Energiewende. Swissgrid muss das Netz so umbauen, dass es den künftigen Anforderungen genügen wird. Das Übertragungsnetz wurde auf grosse, relativ konstant einspeisende Kraftwerke ausgerichtet. Jetzt gehen aber mehr kleinere, dezentrale Produktionseinheiten mit volatiler Einspeisung ans Netz. Diese Entwicklung ist in der Energiestrategie 2050 vorgesehen und Swissgrid adressiert sie mit dem «Strategischen Netz». Der notwendige Um- und Ausbau wird allerdings immer wieder durch Einsprachen verzögert.
Aber auch die Entwicklungen im europäischen Kontext bereiten uns Sorgen: Während die EU mit der Implementierung des dritten Binnenmarktpakets fortschreitet, entfernen sich die dort festgelegten Regeln für den Netz- und Marktbetrieb immer weiter von den entsprechenden Schweizer Regularien. Die weitere Einführung und Optimierung der flussbasierten Marktkopplung (70 %-Regel; gilt bereits seit 2020, Umsetzung bis spätestens Ende 2025) in der EU dürfte in den kommenden Jahren eine weitere grosse Herausforderung darstellen. Denn diese Entwicklungen führen voraussichtlich zu einer Zunahme der bereits heute erheblichen ungeplanten Flüsse durch die Schweiz und potenziell zu einer Verringerung der Importfähigkeit der Schweiz. Zur Lösung dieser Herausforderungen braucht es die Unterstützung der Politik.
Der Systemstress nimmt angesichts der beschriebenen Herausforderungen zu. Es kann erwartet werden, dass sich die Intensität dieser Herausforderungen bis Ende 2025 stark steigern wird. Swissgrid wird alle notwendigen Massnahmen umsetzen, damit die Netzstabilität in der Schweiz gewährleistet bleibt.
Vielen Dank für das Gespräch!