Wie hoch ist das Risiko eines Blackouts?
Die Schweiz liegt im Herzen Europas und ist wirtschaftlich eng mit ihren Nachbarstaaten verbunden. Das gilt auch für die Energiewirtschaft. Yves Zumwald, CEO Swissgrid, erklärt, was die Schweiz tun muss, damit ein grosser Stromausfall nicht Realität wird.
Herr Zumwald, warum ist Versorgungssicherheit ein so relevantes Thema?
Es ist ganz einfach: Ohne Strom stehen Gesellschaft und Wirtschaft still. Entsprechend schätzt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz eine Strommangellage als grösstes Risiko ein. Als nationale Netzgesellschaft leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Versorgungssicherheit. Wir verfolgen das Ziel, den Wandel im europäischen und schweizerischen Energiesystem mitzugestalten. Nur so ist es möglich, den zuverlässigen und leistungsfähigen Betrieb des Übertragungsnetzes zu gewährleisten.
Manche Studien kommen zum Schluss, dass die Versorgungssicherheit in der Schweiz mit Strom auch in Zukunft gewährleistet ist. Andere bezweifeln dies. Was gilt nun?
Die Einschätzungen zur Stromversorgungssicherheit beinhalten unterschiedliche zeitliche Dimensionen sowie die Aspekte Zuverlässigkeit, Sicherheit und Angemessenheit.
Wie gut steht die Schweiz tatsächlich da?
Die Schweiz nimmt punkto Versorgungsqualität im gesamteuropäischen Vergleich einen Spitzenwert ein. Die durchschnittliche Unterbrechungsdauer pro Endverbraucher und Jahr betrug 2019 in der Schweiz 19 Minuten. Der Anteil Unterbrechungsminuten im Übertragungsnetz beträgt davon nur 0.2 Prozent. Das Hauptproblem ist netzseitig der fehlende Einbezug in die europäischen Koordinationsprozesse, der sich negativ auf den Netzbetrieb auswirkt. Swissgrid setzt sich deshalb für die volle Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt ein. Dafür brauchen wir ein Stromabkommen mit der EU.
Schon heute ist die Schweiz im Winterhalbjahr Nettoimporteur von Strom und somit auf ihre Nachbarländer angewiesen. Nimmt diese Abhängigkeit weiter zu?
In der Energieversorgung der Zukunft wird Strom eine zentrale Rolle spielen: Erneuerbare Energien, Effizienzsteigerung und Elektrifizierung sowie Sektorkupplung sind die zentralen Elemente für die Umsetzung der Energiestrategie 2050. Dadurch werden nicht nur die Nachfrage nach Strom und die Abhängigkeit vom europäischen Strommarkt zunehmen, sondern es stellt auch das Stromnetz vor neue Herausforderungen.
Muss man nicht zwischen der rein technischen Exportfähigkeit und der politischen Exportbereitschaft anderer Staaten unterscheiden?
Die Bereitschaft, Strom zu exportieren setzt eigene Reservekapazitäten und entsprechende Netzkapazitäten voraus. In Krisensituationen ist die Exportfähigkeit der Nachbarländer eine Frage von politischen Entscheidungen. Um Netzengpässe zu beseitigen und die Netzsicherheit gewährleisten zu können, ist die Umsetzung der im «Strategischen Netz 2025» enthaltenen Netzprojekte relevant. Die Modernisierung des Übertragungsnetzes ist der Schlüssel für eine sichere Stromversorgung und eine nachhaltige Energiezukunft im Sinne der Energiestrategie 2050.
Unsere Nachbarländer bauen ihr Energiesystem ebenfalls um. So steigt Deutschland beispielsweise aus der Atomenergie und der Stromgewinnung durch Kohle aus. Welche Auswirkungen hat dies für die Schweiz?
Der Abbau an gesicherter Kapazität im europäischen Umfeld wird sich negativ auf die Importfähigkeit der Schweiz auswirken. Die stark vernetzte Schweiz hängt von den Gegebenheiten in den Nachbarstaaten ab. Ohne Stromabkommen mit der EU ist beispielweise die Exportwilligkeit der EU stark gefährdet.
Welche Technologien können wir im Rahmen der Energiestrategie 2050 anwenden, um die Abhängigkeit zu reduzieren?
Der Stromimport und -export ist seit jeher eine tragende Säule der Versorgungssicherheit und wird es auch in Zukunft sein. Der Stromhandel ist ein wichtiges Mittel, um die wechselnde Verfügbarkeit von Wasserkraft, Wind und Sonne auszugleichen. Ein Stromabkommen mit der EU würde die Schweiz also besser in die Markt- und Solidaritätsmechanismen in der EU einbinden. Dies würde die Bewältigung von Importsituationen erleichtern.
Swissgrid muss immer häufiger ins Stromnetz eingreifen, um die Versorgung sicherzustellen. Wie hoch schätzen Sie das Risiko eines Blackouts ein?
Das Schweizer Übertragungsnetz gehört zu den stabilsten und sichersten der Welt. Dazu trägt einerseits die enge Vernetzung im Inland sowie auch mit dem europäischen Verbundnetz bei. Dank der Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern kann die Schweiz bisher Kraftwerksausfälle oder Überproduktion kompensieren. Aber die Umsetzung des dritten EU-Richtlinienpakets und des Clean Energy Package führt voraussichtlich zu einer Zunahme von ungeplanten Flüssen und zu einer Verringerung der Importfähigkeit der Schweiz. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Herausforderungen bis 2025 stark zunehmen werden.
Das Interview ist erstmals in der aktuellen Ausgabe vom twice erschienen.