Industriepolitik: Müssen wir in den Subventionswettlauf einsteigen?

22.10.2024

Milliarden-Unterstützung für die Ansiedlung von Unternehmen, Milliarden-Investitionen in inländische Energieversorgung, Milliarden-Subventionen für den Klimaschutz. Die Staaten richten derzeit mit der grossen Kelle an. Und dies trotz leeren Staatskassen. Sind auch wir in der Schweiz gezwungen, unsere Unternehmen mit Milliarden zu subventionieren? Diese Frage diskutierten wir mit Fachexperten, Politikerinnen und einem engagierten Publikum an unserer Werkstatt Basel.

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Aymo Brunetti, Professor Departement Volkswirtschaftslehre Universität Bern, zeigte mit seinem Input auf, was Industriepolitik ist, nämlich der gezielte staatliche Eingriff in einen bestimmten Sektor, der sich auf die Struktur und die Entwicklung eines Industriezweiges auswirkt. Er zeigte sich überzeugt, dass eine solche Industriepolitik grundlegenden Einsichten der Volkswirtschaftslehre widerspräche.

Unternehmerische Schwarmintelligenz statt staatlichem Monopol

Keine zentrale Stelle verfüge über die immense Menge notwendiger Informationen sowie das Wissen über zukünftige technologische Entwicklungen, um wirtschaftlich effiziente und nachhaltige Entscheide über Ressourcenzuteilung zu fällen. Viele Unternehmen im Wettbewerb seien wesentlich effizienter als eine staatliche Stelle im Monopol. Zu den zentralen Aufgaben eines Staates in einer Marktwirtschaft gehöre es, einen verlässlichen Rechtsrahmen zu setzen, klar definiertes Marktversagen zu bekämpfen und soziale Härten zu mildern. Wenn es kein Marktversagen gibt - also in den meisten Fällen - soll der Staat aber gemäss Brunetti auf jeden lenkenden Eingriff verzichten. Denn Industriepolitik führe zu grossen Ineffizienzen und verschwende knappe Ressourcen: Sie belaste die Staatsfinanzen unnötig, da sie meist über Subventionen umgesetzt werde, und lade zu Lobbyismus ein.


Als wirkungsvolle Alternative zur Industriepolitik empfiehlt Brunetti, dass der Staat gute Rahmenbedingungen setzt und sich aus der Ressourcenverwendung raushält. «Er öffnet den Privaten Wege, bestimmt aber nicht welcher Weg beschritten wird. Der Staat setzt die Spielregeln, ist aber nicht Trainer oder gar Mitspieler», so Brunetti. Dies entspräche mit wenigen Ausnahmen der Philosophie der heutigen Schweizer Wirtschaftspolitik. Für ihn ist klar: «Die Schweiz hat einen echten, laufend wachsenden Wettbewerbsvorteil, wenn sie bei ihrem weitgehenden Verzicht auf Industriepolitik bleibt».


Was darf und soll die Politik?

Auf dem anschliessenden Podium diskutierten Nationalrätin Sarah Wyss, Unternehmer Urs Grütter und Rudolf Minsch, Chefökonom economiesuisse, mit Brunetti dieses komplexe Thema weiter. Gemäss Wyss betreibe die Schweiz bereits heute Industriepolitik, nicht nur in der Landwirtschaft und im Tourismus. Dies könne durchaus sinnvoll sein: Die Gesellschaft müsse sich überlegen, welche Grundsätze wichtig seien. Insbesondere die Diskussion zu Service Public und freiem Markt müsse demokratisch geführt werden.


Für Minsch zeigt sich gerade in der Landwirtschaft, dass Bauern infolge der erhaltenen Subventionen nicht auf den Markt, sondern nach Bundesbern schauen. Er sprach sich klar gegen eine Industriepolitik und für gleiche Chancen für alle aus. Die Steuerzahlenden würden mit einer Industriepolitik stärker zur Kasse gebeten, als wenn man Firmen die unternehmerische Freiheit lasse. Grütter lehnte Subventionen ebenfalls ab, da sie den Wettbewerb verzerren und Unternehmen nicht helfen, innovativ zu sein. Industriepolitik sei eine Einflussnahme auf unternehmerische Entscheide.

Wertvoller Input aus dem Publikum

Flankiert wurde das Podium mit engagierten Voten aus dem Publikum und dem Backing von Lukas Schmid, Avenir Suisse, Ronald Indergand, SECO, und Martin Dätwyler, Handelskammer beider Basel. Unsere Online-Votings zeigten, dass mit 47 Prozent weniger als die Hälfte der rund 200 Besucherinnen und Besucher unserer Werkstatt bereit sind, durch Industriepolitik verursachte persönliche Einschränkungen in Kauf zu nehmen und sich gar 73 Prozent gegen eine aktive Einflussnahme der Politik auf die Unternehmen aussprachen. Weniger deutlich war das Resultat bei der Frage, ob Subventionen generell abgeschafft werden sollen: 55 Prozent sprachen sich dafür aus. Konkrete Handlungsempfehlungen aus dem Publikum für einen attraktiven Wirtschaftsstandort reichten von der Forderung Steuern zu senken, alle Subventionen abzuschaffen und gezielten Verstaatlichungen bis zu Lenkungsabgaben in der Mobilität und mehr Unternehmerinnen und Unternehmern in der Politik. Waren zu Beginn unserer Werkstatt 81 Prozent für eine Industriepolitik, waren es nach den spannenden Diskussionen nur noch 42 Prozent.

Dialog zwischen Gesellschaft und Wirtschaft nötig

Abschliessend bedankte sich Handelskammer-Direktor Martin Dätwyler für die intensive Diskussion. «Um die Schweiz und unsere Region wettbewerbsfähig zu halten, müssen wir gute Voraussetzungen und ein gutes Umfeld für die Unternehmen schaffen. Attraktive Standortbedingungen ermöglichen Wachstum als Nährboden für Wohlstand. Deshalb setzen wir uns weiterhin für gute Rahmenbedingungen und gegen eine Industriepolitik ein», fasst er die Position der Handelskammer beider Basel zusammen. Dazu ist auch ein ständiger Dialog zwischen Gesellschaft und Wirtschaft nötig.

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Kommentare

23.10.2024 - Felix Wettstein

Wie sorgt die HKBB vor, dass sie in ihren Positionen nicht selbstgefällig wird? Die libertäre Ideologie gebietet: "Hände weg von (vertikaler) Industriepolitik". Die Veranstaltung hat erreicht, was sie wollte: Die Workshop-Frage war eine rhetorische Frage; die Anwort "Nein" vorher schon gesetzt. Ich fand es bezeichnend, dass keiner der Männer auf die angesprochene Realität eingehen wollte: Selbstverständlich waren die Bankenrettungen, die jahrzehntelang erlaubten Lockvogel-Steuerbestimmungen und vieles mehr Ausdruck von Industriepolitik. Mutig war nicht Sarah Wyss. Mutig wäre gewesen, das Panel mit mehr unterschiedlichen Meinungen zusammenzusetzen.

23.10.2024 - Stefan Barny

Herzliche Gratulation zu der gelungenen Veranstaltung.
Das gewählte Format der Werkstatt ist sehr attraktiv und vor allem
vom Team der HKBB exzellent orchestriert!
Die Teilenehmer des Panels und vom Back-Up Desk waren gut gewählt.
Highlight, Impuls Referat von Prof. Aymo Brunetti mit den interessanten
Standpunkten in der Diskussion.

Freue mich auf die nächste Ausgabe!

22.10.2024 - Daniel Zimmermann

Werkstatt Region Basel: Sehr gutes Format mit starker inhaltlicher Diskussionsplattform
Bei Gastreferenten sollten die Haltungen ausgewogener sein (5 Pro/1 Unternehmer gegen 1 Contra) - gibt qualitativ bessere Diskussion
Gewähltes Lokal optimal (Lage, Akustik, Klima, Bequemlichkeit)
Apero ??? ausgelassen - waren alle überfordert !
Besten Dank für die Einladung - gerne wieder einmal

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