«Dem Miteinander der Verkehrsträger gehört die Zukunft, nicht dem Gegeneinander»
Eine gute Erreichbarkeit ist zentral für den Erfolg unseres Wirtschaftsstandorts. Der gezielte Ausbau des zunehmend überlasteten Verkehrssystems ist also zwingend. Wo die Region Basel auf einem guten Weg ist und wo die Weichen erst noch gestellt werden müssen? Darüber haben wir mit Jürg Röthlisberger, Direktor Bundesamt für Strassen (ASTRA), gesprochen.
Untersuchungen zu unserem Mobilitätsverhalten während der Pandemie zeigten einen Trend hin zu individueller Mobilität – vor allem zum Auto. Wird dieser Trend anhalten?
Ich denke, dass dies eher ein kurzfristiges Phänomen ist. Politisch und gesellschaftlich ist eine moderate zusätzliche Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr gewünscht, ohne dabei den heutigen Modalsplit wesentlich zu verändern. Auch der Veloverkehr, der in der Pandemie einen enormen Schub erhalten hat, hat ein grosses Potenzial. Er könnte den täglichen Pendlerverkehr entlasten.
Der Rheintunnel ist eines der wichtigsten Verkehrsprojekte der Region. Welcher Nutzen entsteht in und um Basel?
Der Rheintunnel wird einen grossen Teil des Agglomerations- und Durchgangsverkehrs auf der heutigen Osttangente aufnehmen. Dadurch werden Kapazitäten frei, um das kantonale und kommunale Strassennetz zu entlasten. Die Quartiere werden weniger Ausweichverkehr und Lärm haben und die Verkehrssicherheit wird erhöht. Die bestehende Osttangente kann verträglicher gestaltet und betrieben werden.
Wo steht das Projekt und wie treibt es der Bund voran?
Im Rahmen des strategischen Entwicklungsprogramms Nationalstrasse wird der Bundesrat voraussichtlich Anfang 2023 dem Parlament einen verbindlichen Verpflichtungskredit für die Realisierung des Rheintunnels beantragen. Anschliessend werden wir das Ausführungsprojekt öffentlich auflegen. Es folgt das eigentliche Bewilligungsverfahren, die Detailplanung und schliesslich die Ausschreibung der Arbeiten. Wenn alles wie geplant läuft, beginnen wir 2029 mit den Bauarbeiten, die rund 10 Jahre dauern werden.
Kürzlich haben Sie das Projekt Rheintunnel in Basel vorgestellt. Welche Resonanz haben Sie erhalten?
Die Schweiz hat nie Strassen auf Vorrat gebaut, sondern immer auf eine starke Nachfrage reagiert. Wir fahren heute völlig am Anschlag und können die bestehenden Strassen wegen der starken Belastung auch in der Nacht kaum mehr unterhalten. Der Verkehr drängt zunehmend wieder zurück auf die untergeordneten Strassennetze und bedrängt dort die Anwohnerschaft, den Langsamverkehr und den ÖV. Das kann nicht intelligent sein. Der motorisierte Individualverkehr soll auf den Hochleistungsstrassen fliessen können. Um deren Drainagefunktion wiederherzustellen, müssen wir dort ausbauen, wo der Problemdruck am grössten ist.
Wie gehen Sie mit Kritik am Projekt – insbesondere den Bedenken zur eingeschränkten Lebensqualität während der Bauphase und der Skepsis gegenüber Verkehrsgrossprojekten – um?
Während den Bauarbeiten wird es zu Beeinträchtigungen kommen, das ist klar. Wir versuchen Lärm, Staub und Baustellenverkehr möglichst gering zu halten. Wichtiger sind aber jene Verbesserungen, die nach dem Bau bestehen werden. Davon werden die Anwohnerinnen und Anwohner längerfristig profitieren. Bei der Projektvorstellung konnten wir meiner Einschätzung nach verständlich aufzeigen, dass der Rheintunnel wichtig ist, um die Funktionsfähigkeit der Nationalstrasse in der Region Basel weiter zu erhalten. Wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass wir Strassen für die Zukunft bauen, für einen künftig wesentlich verträglicheren und noch sichereren Verkehr. Die oft bemühte und simple Gleichung «Strasse = CO2» ist definitiv passé. Dem Miteinander der Verkehrsträger gehört die Zukunft, nicht dem Gegeneinander!
Für den Wirtschaftsstandort sind optimale Anbindungen an das Umland essenziell. Mit dem Komitee N18 engagieren wir uns für eine bessere Verbindung der Region Basel mit dem Kanton Jura und der Westschweiz. Welche Bedeutung misst das ASTRA diesem Korridor zu?
Die Verbindung zwischen Delémont und Basel ist per 1. Januar 2020 ins Eigentum des Bundes übergegangen. In den drei Teilgebieten Birstal, Laufental und Delémont gibt es unterschiedlich ausgeprägte Probleme mit der Funktionalität und der Verträglichkeit. Zur Lösung dieser Probleme haben die Kantone Jura und Basel-Landschaft dem Bund mit der Umfahrung Delémont, der Umfahrung Laufen/Zwingen sowie dem Muggenbergtunnel drei Erweiterungsprojekte übergeben. Diese Vorhaben sind jeweils isoliert voneinander geplant worden und weisen einen unterschiedlichen Planungsstand auf. Eine integrale Betrachtung des gesamten Korridors zwischen Delémont und Basel werden wir im Rahmen der geplanten Korridorstudie nachholen.
Was genau wird in der Korridorstudie untersucht, welche Ziele werden verfolgt und bis wann dürfen wir mit Ergebnissen rechnen?
Wir werden bei verschiedenen dieser per 1. Januar 2020 von den Kantonen übernommenen Nationalstrassen Korridorstudien durchführen. In deren Rahmen prüfen wir, ob die von den Kantonen gewählten Lösungsansätze zielführend sind, ob grundsätzliche Ergänzungen oder gar Alternativen zu den vorgesehenen Umfahrungsprojekten bestehen und wie auf der gesamten Strecke ein homogener Ausbaustandard sichergestellt werden kann. Dabei werden wir die übergeordneten Grundsätze von Bund und Kantonen zu beachten haben. Die Studien mit den Antworten dazu werden voraussichtlich Ende 2024 vorliegen.
Mit dem Zubringer Bachgraben hat die Region bei einem ihrer Schlüsselprojekte kürzlich einen Dämpfer erhalten: Die für das Bachgrabenareal so wichtige leistungsfähige Anbindung wird im Rahmen des Aggloprogramms vom Bundesamt für Raumentwicklung nicht priorisiert. Woran liegt das und was kann die Region hier künftig besser machen?
Der Bundesrat schlägt vor, insgesamt 32 Agglomerationsprogramme mit insgesamt rund 1,3 Milliarden Franken mitzufinanzieren. Bedarf gibt es aber viel mehr, womit die Konkurrenz unter Regionen und Projekten gross ist. Damit steigen auch die Anforderungen an die einzelnen Projekte hinsichtlich Kostenwirksamkeit und Verträglichkeit. Die verantwortlichen Stellen der Kantone tun sicher gut daran, im Gespräch mit dem federführenden Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) den Entscheid zu ergründen und das Potenzial für Nacharbeiten an ihren Projekten auszuloten. Schliesslich reden wir hier von Infrastrukturinvestitionen in die Zukunft mit Betriebsdauern von 100 und mehr Jahren und da lassen sich vertiefte Planungs- und Nacharbeiten rechtfertigen.
Neben dem Ausbau der Kapazitäten, sind auch Ansätze für ein effizientes Management bestehender Kapazitäten zentral für eine weiterhin gute Erreichbarkeit. Mobility Pricing ist ein vom ASTRA favorisierter Ansatz. Wo stehen wir bei diesem Vorhaben?
Im Dezember 2019 hat der Bundesrat das UVEK beauftragt, Kantone sowie Städte und Gemeinden zu suchen, die Pilotprojekte mit Mobility Pricing durchführen möchten. Gemeldet haben sich die Kantone Aargau, Basel-Stadt, Genf, Jura, Thurgau (Frauenfeld), Wallis und Zug sowie die Städte Bern, Biel/Bienne, Delémont und Zürich. Zurzeit laufen die Arbeiten für die Auswahl jener Projekte, für welche Machbarkeitsstudien durchgeführt werden sollen. Dabei fordern wir von den Pilotregionen konsequent den vom Bundesrat wiederholt festgehaltenen Anspruch nach einem Mobilitypricing ein, also den Einbezug aller Verkehrsträger. Ein reines Roadpricing genügt nicht. Nach Abschluss dieser Arbeiten wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden.
Um die Klimaziele zu erreichen, muss auch der Individualverkehr zunehmend elektrifiziert werden. Dies hat jedoch direkte Auswirkungen auf der Einnahmenseite des Bundes, da für Elektroautos keine Mineralölsteuern fällig werden. Wie möchte der Bundesrat eine nachhaltige Finanzierung der Verkehrsinfrastrukturen sicherstellen, ohne die Dekarbonisierung in Frage zu stellen?
Das ist ein Abwägen zwischen Förderung und Gerechtigkeit. Einerseits wollen wir bis 2050 aus den fossilen Energieträgern aussteigen. Andererseits müssen wir die Strasseninfrastruktur erhalten und verbessern, und das muss finanziert werden können. Heute bezahlen die Halter von Autos mit alternativen Antrieben mit Ausnahme der Autobahnvignette keine Abgaben an die Infrastruktur. Das ist für eine Übergangsphase politisch so gewollt und gesellschaftlich akzeptiert. Mit der zunehmenden Verbreitung von elektrisch bzw. alternativ angetriebenen Fahrzeugen werden aber immer weniger Mittel für die Infrastrukturfinanzierung zur Verfügung stehen. Nun geht es darum, die heutigen Einnahmen durch die Treibstoffzölle eins zu eins zu ersetzen. Wichtig sind dabei zwei Punkte: Es ist eine Ersatzabgabe – also ein Ersatz für etwas, das die Automobilisten bereits heute bezahlen – und die Abgabe wird eine fixe Abgabe je gefahrenen Kilometer sein. Also ganz klar kein Roadpricing.
Mobil in die Zukunft
Wir setzen uns für eine leistungsfähige Mobilität in der Agglomeration Basel ein – sowohl für Personen als auch für Güter. Eine gute Erreichbarkeit ist ein Schlüsselfaktor für einen attraktiven Wirtschaftsstandort und Lebensraum. In unseren Themendossier «Mobil in die Zukunft» setzen wir neue Impulse, wie klassische Verkehrsmittel und neue Mobilitätsformen kombiniert werden können, um die Region Basel noch besser zu erschliessen.