Bundesgesetz über Pilotprojekte zu Mobility-Pricing

10.05.2021

Die Mobilitätsbedürfnisse und Transportleistungen in der Schweiz werden auch künftig weiter steigen. Die dringend notwendigen Infrastrukturausbauten können zwar weitere Kapazitäten bereitstellen. Zusätzlich benötigen wir aber ganzheitliche und umfassende Ansätze des Verkehrsmanagements, um die bestehenden und künftigen Kapazitäten effizienter zu nutzen. Die Handelskammer beider Basel befürwortet den Ansatz des Mobility-Pricings als marktwirtschaftliches Instrument zum Management der Kapazitäten, indem Verkehrsspitzen über Kostenanreize möglichst gebrochen werden. Eine gesetzliche Grundlage für Pilotversuche in der Schweiz begrüssen wir grundsätzlich. Der vorliegende Vorschlag ist aus unserer Sicht jedoch ungenügend und kann so nicht unterstützt werden.

Ausgangslage

Die Mobilitätsbedürfnisse der Schweizer Bevölkerung und auch die Logistikströme wachsen seit Jahren stetig. Schon heute sind die Kapazitäten auf Strasse und Schiene während der Spitzenzeiten – insbesondere am Morgen und am Abend – immer wieder überschritten. Der starke Einbruch der Verkehrsleistung beim motorisierten Individualverkehr (MIV) und dem öffentlichen Verkehr (ÖV) infolge der Corona-Pandemie von in der Spitze -80 Prozent (ÖV) bzw. -60 Prozent (MIV) wurde in den letzten Wochen und Monaten deutlich geringer. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und -formen (z.B. Home Office) wird zwar aller Voraussicht auch langfristig einen Beitrag an eine verbesserte Nutzung der Infrastrukturkapazitäten leisten. Doch vor dem Hintergrund insgesamt steigender Mobilität müssen neue Wege gegangen werden, um mit dem knappen Gut «Kapazität» effizient umzugehen. In diesem Zusammenhang wurde unter Federführung des ASTRA eine Simulationsstudie zur Wirksamkeit von Mobility-Pricing am Beispiel der Region Zug durchgeführt. Hierbei wurden substanzielle Reduktionen der Verkehrsleistung während der Spitzen sowohl beim ÖV (Morgenspitze: -5,3 Prozent, Abendspitze: -8,6 Prozent), als auch beim MIV (Morgenspitze: -9,4 Prozent, Abendspitze: -11,7 Prozent), festgestellt. Inwiefern diese theoretischen Reduktionen auch in der Praxis beobachtet werden können, und welche Wirkung die unterschiedlichen Modelle und Bepreisungsformen auf das Mobilitätsverhalten und damit die Beeinflussung der Verkehrsnachfrage haben, soll nun in empirischen Pilotversuchen eruiert werden. Mit dieser Vorlage soll eine bislang fehlende gesetzliche Grundlage geschaffen werden, damit Kantone, Städte oder Gemeinden Pilotprojekte für Mobility-Pricing durchführen können. Diese Projekte müssen örtlich und zeitlich begrenzt sein und sollen eine Abgabepflicht vorsehen können. Die Region Basel ist als dynamische Wirtschaftsregion durch den steigenden Verkehr und ihre Lage im Dreiländereck besonders herausgefordert. Die Erreichbarkeit der Region innerhalb und von aussen als Gateway der Schweiz aufrecht zu erhalten hat für uns obere Priorität. Gleichzeitig ergeben sich durch die geografische Lage auch Besonderheiten bei der Umsetzung möglicher Pilotprojekte im Bereich des Mobility-Pricings.

Konzeption

Die Vorlage möchte in zwei Bereichen neue – auf zehn Jahre befristete – Rechtsgrundlagen schaffen:

1. Kantone, Städte oder Gemeinden sollen als Trägerschaft(en) Pilotprojekte im Bereich Mobility-Pricing, für die sie eine Abgabepflicht vorsehen, durchführen können. Der Bund tritt hier als Enabler auf.

2. Der Bund soll Pilotprojekte im begrenzten Umfang finanziell unterstützen können.
Die Vorlage unterscheidet dabei zwei Arten von Pilotprojekten:

1. Pilotprojekte mit einer Abgabepflicht für die betroffenen Verkehrsteilnehmer

  • Projekte der öffentlichen Hand oder Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs
  • Verkehrsteilnehmer können nicht frei entscheiden, ob sie daran teilnehmen wollen oder nicht
  • Heute sind solche Projekte beim MIV nicht möglich (fehlende Rechtsgrundlage)
  • Projekte können durch den Bund finanziell gefördert werden

2. Pilotprojekte mit freiwilliger Teilnahme der Verkehrsteilnehmer

  • Projektträger können öffentlich oder privat sein
  • Verkehrsteilnehmer können frei über eine Teilnahme entscheiden
  • Projekte wären bereits heute ohne zusätzliche Rechtsgrundlage möglich
  • Projekte sollen durch den Bund finanziell unterstützt werden können

Pilotprojekte mit einer Abgabenpflicht sind durch den Kanton, auf dessen Gebiet das Projekt durchgeführt wird zu bewilligen. Zuvor muss der Kanton die Genehmigung des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation einholen.

Forderungen

Die Handelskammer beider Basel teilt die Auffassung, dass sich die Situation bereits heute knapper Kapazitäten im Schienen- und Strassenverkehr künftig verschärfen wird. Mobility-Pricing stellt aus unserer Sicht einen möglichen marktwirtschaftlichen Ansatz dar, um Verkehrsspitzen zu brechen und die Kapazität so effizienter zu nutzen. Wir befürworten ausserdem, dass mit diesem verkehrsträgerübergreifenden Ansatz die Kostenwahrheiten sowohl beim MIV als auch beim ÖV deutlicher werden. Grundsätzlich begrüssen wir daher, dass mit dieser Vorlage eine gesetzliche Grundlage zur Durchführung von Pilotprojekten geschaffen werden soll, damit Erkenntnisse über die Wirkung von Anreiz- und Preismodellen gesammelt werden können. In der jetzigen Form ist die Vorlage jedoch ungenügend. Die Vorlage muss aus unserer Sicht in folgenden Bereichen dringend überarbeitet werden, um Zustimmung zu finden:

  • Aus unserer Sicht müssen vor allem die Prinzipien «pay as you use» und «Kompensation» konsequent weiterverfolgt werden, damit eine sinnvolle Ausprägung von Mobility Pricing vorwärtsgebracht werden kann.
  • Pilotversuche des Mobility-Pricings sollen nicht dazu verwendet werden können, um sachfremde politische Anliegen umzusetzen. Insbesondere wehren wir uns gegen Ansätze, die nicht dazu dienen Kapazitäten zu managen, sondern vorwiegend klimapolitische Massnahmen zu implementieren. Dies kann nicht der Sinn von Pilotprojekten sein. Das ASTRA muss dies als Bewilligungsstelle im Falle von Projekten im Bereich des MIV sicherstellen.
  • Für uns ist entscheidend, dass die Pilotversuche von vornherein als solche aufgesetzt werden und nach Ablauf der Frist nicht ohne weitere Legitimation fortgeführt werden können. Dies gilt es explizit festzuschreiben. Vielmehr soll die Analyse der Erkenntnisse eine Auslegeordnung ermöglichen, auf deren Basis dann über weitere, allenfalls permanente Massnahmen diskutiert und entschieden werden kann. Dabei müssen neben dem «Spitzenbrechen» auch weitere Aspekte in die Beurteilung, etwa die soziale Wirkung, Umstrukturierungskosten sowie der Einfluss auf die Standortattraktivität, einfliessen. Ein weiteres Themenfeld betrifft den Beitrag von Mobility-Pricing an eine nachhaltige Finanzierung des Verkehrssystems.
  • Es ist anzunehmen, dass vorwiegend Trägerschaften aus Gebieten mit hohem Handlungsdruck (Städte und Agglomerationen) Pilotprojekte beantragen werden. Weiter ist davon auszugehen, dass diese Projekte in erster Linie den motorisierten Individualverkehr betreffen werden. Dies könnte dazu führen, dass nach der Pilotphase vor allem für diesen Verkehrsträger Erkenntnisse vorhanden sind, diese im Bereich des öffentlichen Verkehrs aber weitgehend fehlen. Ein drohendes reines «Road-Pricing durch die Hintertüre» gilt es in jedem Falle zu verhindern. Dazu muss das UVEK die Projekte in einer Gesamtschau prüfen und sicherstellen, dass beide Verkehrsformen gleich vertreten sind und so eine repräsentative Grundlage zur Evaluation resultieren kann. Dies auch aus der Überlegung heraus, dass Road-Pricing-Projekte nach heutiger Rechtsgrundlage gar nicht möglich wären.
  • Eingereichte Pilotprojekte im Bereich des motorisierten Individualverkehrs bzw. des öffentlichen Verkehrs müssen zwingend durch die jeweils für den Verkehrsträger zuständige Behörde geprüft werden, bevor sie genehmigt werden. Im Falle der dichten und trinationalen Region Basel, müssen Pilotprojekte in einer Gebietskörperschaft die Zustimmung sämtlicher potenziell betroffenen Gebietskörperschaften erhalten um genehmigungsfähig zu sein. Die initiierende Gebietskörperschaft muss diese Zustimmung vorab proaktiv einholen.
  • Die Höhe der Mobility-Pricing-Abgabe soll so festgelegt werden, dass die mit dem Projekt geplante Wirkung erreicht werden kann. Konkrete Vorgaben zur maximalen Höhe kann der Bund gemäss Vorlage nicht machen. Aus unserer Sicht muss das für den Verkehrsträger verantwortliche Bundesamt dringend mit der Plausibilisierung des Tarifs zur Erreichung des Projektziels beauftragt werden. Ist die Höhe des Tarifs oder die Grundlage zu dessen Erhebung nicht plausibel, darf das UVEK das Projekt nicht genehmigen, da sich aus dem Pilotprojekt keine validen Ergebnisse gewinnen liessen und der Zweck des Versuchs von vornherein nicht erfüllt werden kann.
  • Tarife des Mobility-Pricings sollen so dynamisch wie möglich ausgestaltet sein, damit Nachfragespitzen nicht einfach verlagert werden, sondern effektiv reduziert werden. Dies sollte in den Pilotversuchen gegeben sein.
  • Wir sehen in der Ausgestaltung der Pilotprojekte zudem noch einige offene methodische Fragen bzw. Probleme:

Sofern bei Projekten mit freiwilliger Teilnahme der Verkehrsteilnehmer ein Bonus für Reisen ausserhalb der Spitze geleistet werden sollte, würde es sehr wahrscheinlich zu einem Selektionsbias kommen, da nur Personen teilnehmen würden, die sich aufgrund ihres ihnen bekannten Mobilitätsverhaltens einen positiven Ertrag versprechen. In diesem Fall würde die Wirkung von Mobility-Pricing überschätzt.

Car-Pooling könnte vermehrt genutzt werden, um die hohen Kosten während der Verkehrsspitzen zu umgehen und dennoch während dieser – zu mehreren Personen in einem Auto – zu reisen. Wie muss dies bei der Aufgleisung von Projekten bzw. kann dies bei der Evaluation von Projekten im Nachgang berücksichtigt werden?

Mit der probeweisen Einführung von Mobility-Pricing-Abgaben bei den Projekten ohne freiwillige Teilnahme der Verkehrsteilnehmer werden auch Einnahmen generiert. Diese sollen zur Deckung der Kosten zur Projektrealisierung verwendet werden. Mobility-Pricing sollte nach unserem Verständnis jedoch nach den Regeln einer Lenkungsabgabe funktionieren und daher fiskalneutral sein. Die Umverteilung und Lenkungswirkung findet innerhalb der Gruppe der Verkehrsteilnehmer anhand ihres Verhaltens und den entsprechend zu zahlenden Tarifen statt. Das vorgeschlagene Setting ist somit problematisch, da eine Person lediglich eine Zusatzbelastung erfährt, aber keine echte Einsparung realisieren kann, indem sie die Verkehrsspitze(n) meidet. Diese Asymmetrie führt zu Problemen bei der Datenanalyse nach den Versuchen. Es wird hierbei möglicherweise nur beschränkter Erkenntnisgewinn generiert.

Fazit

Die Liste an Forderungen ist umfassend und zeigt, dass wir einer Rechtsgrundlage für Pilotprojekte im Mobility-Pricing nicht vorbehaltlos zustimmen können. In der jetzigen Form lehnen wir die Vorlage ab.

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