Big Data in der Medizin: Machen Daten gesund?
Die Forschung mit umfangreichen Gesundheitsdaten bietet grosses Potenzial – löst aber auch verständliche Bedenken aus. Über therapeutische Modelle und ethische Fragestellungen.
Beim Thema Datenschutz hat jeder Mensch seine individuelle Schmerzgrenze. Während der eine sein komplettes Privatleben haarklein in den sozialen Medien dokumentiert, möchte die andere noch nicht einmal in ihrer Mail-Adresse einen echten Namen verwenden. Doch bei einem Thema werden wir beinahe alle gleichermassen hellhörig: beim Umgang mit unseren Gesundheitsdaten. Auf der einen Seite steht die Angst vor dem «gläsernen Patienten», auf der anderen Seite die Aussicht auf völlig neue, individuelle Behandlungsmöglichkeiten.
Mit genau diesem Spannungsfeld befasst sich am 16. Oktober eine Veranstaltung der Handelskammer beider Basel. Unter dem Titel «Machen Daten gesund?» diskutieren eine Expertenrunde unter Leitung des ehemaligen bz-Chefredaktors Dr. Matthias Zehnder über die Chancen und Risiken von Big Data in der Medizin. Wir hatten Gelegenheit, uns bereits im Vorfeld mit Prof. Christiane Pauli-Magnus zu unterhalten, die an der Veranstaltung als Referentin und Podiumsteilnehmerin mit dabei sein wird. Prof. Christian Pauli-Magnus leitet das Departement Klinische Forschung am Universitätsspital Basel.
Prof. Pauli-Magnus, am 16. Oktober referieren Sie an einer Veranstaltung mit dem Titel «Machen Daten gesund?». In welcher Hinsicht können Daten denn gesund machen?
Daten an sich können das natürlich nicht. Doch sie dienen als wertvolle Forschungsgrundlage. Heute wird eine Vielzahl an Daten generiert, nicht nur im Spital selbst, sondern auch ausserhalb. Dabei geht es um Krankheiten, aber auch um Lebensumstände, Freizeitbeschäftigungen und Konsumverhalten. Daraus lassen sich Präventionsmassnahmen oder therapeutische Modelle ableiten.
Wie läuft ein solcher Prozess ab?
Die Beschaffung der Daten ist der erste wichtige Schritt. Der Patient muss die Erlaubnis zur Nutzung erteilen. Im Allgemeinen sprechen wir dabei von Daten, die bereits vorhanden sind und nicht neu erhoben werden müssen – obwohl es diesen zweiten Fall auch gibt. Wenn wir mit solchen Daten Forschung treiben wollen, gibt es ganz klare gesetzliche Regelungen. Wir müssen den Patienten um Erlaubnis fragen und diese auch schriftlich dokumentieren. Wenn ein Forscher eine bestimmte Fragestellung hat, kann er eine Anfrage an den Datenpool stellen, der in der Schweiz gerade aufgebaut wird. Es wird geprüft, ob die Patienten zugestimmt haben und eine ethische Bewilligung für diesen konkreten Fall vorliegt. Anschliessend erhält der Forscher einen Auszug aus den Informatiksystemen, der seiner Anfrage entspricht.
Von welcher Art von Daten sprechen wir?
Es kann sich um genetische oder demografische Daten handeln, oder auch um solche zu den Lebensgewohnheiten. Diese Informationen versucht man im Sinn der Fragestellung zu analysieren und ein Modell daraus zu entwickeln. Das Ziel kann beispielsweise sein vorherzusagen, wie ein Patient auf eine bestimmte Therapie anspricht oder wie man Patientengruppen besser screenen kann, um Krankheiten früher zu entdecken. Aktuell sind wir vor allem damit beschäftigt, die Infrastruktur aufzubauen, um die Daten überhaupt nutzbar zu machen. Dazu gehört die IT, welche die technischen Voraussetzungen schafft. Ebenso wichtig sind die so genannten ethical, legal and social implications, also die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie wir mit den Daten umgehen dürfen.
Das klingt ein wenig, als müssten Sie eher eine gute Statistikerin als eine gute Medizinerin sein.
Zuerst braucht es einen guten Arzt, der die relevanten Fragestellungen und Erkenntnislücken aufzeigt. Doch im weiteren Verlauf ist eine ganze Reihe von anderen Kompetenzen notwendig, um die Fragestellung in ein Forschungsprojekt zu übersetzen, das einen Erkenntnisgewinn liefert. Wie gleist man das Projekt methodisch auf? Wie viele Patienten benötigt man? Welche Vergleichsgruppe ist allenfalls nötig? Man benötigt Datenmanager, die die Datenqualität sicherstellen und Methoden entwickeln, um die Daten aufzubereiten und falsche Daten auszusortieren. Statistik und Bio-Informatik tragen also einen ganz wesentlichen Teil bei, doch die Initialzündung kommt immer von einem Arzt, weil er die ungelösten Fragen kennt. Nicht vergessen dürfen wir die Ethiker, die sich damit befassen, was Forschung darf. Wir haben also eine ausgesprochen multidisziplinäre Herangehensweise.
Wie wichtig ist es für Sie, mit personalisierten Daten arbeiten zu können?
Für uns steht im Vordergrund, eine möglichst grosse Datenmenge zur Verfügung zu haben. Wir forschen nie mit unverschlüsselten Daten. Doch es kann passieren, dass man Erkenntnisse gewinnt, die eine genauere Betrachtung eines Einzelfalls nötig machen. Deswegen ist eine komplette Anonymisierung der Daten auch nicht sinnvoll. Zumal sie heute – im Zeitalter der Genetik – kaum noch möglich ist. Deswegen muss man sich sehr gut überlegen, wie hochsensible Daten geschützt werden können und wie wir das entsprechende Vertrauen schaffen.
Hier können Sie sich für unsere Veranstaltung Wirtschaft & Wissenschaft im Dialog: Machen Daten gesund? anmelden. Wir freuen uns, Sie zu treffen.