Verbände bilden das Herzstück der Schweizer Demokratie

02.07.2020

Blockchain mache in der Politik klassische Vermittler wie die Verbände überflüssig, hiess es. Dann kam die Krise. Und was sofort funktionierte, waren – die Verbände. Ein Standpunkt von Lukas Golder, gfs.bern, in der NZZ am Sonntag vom 28. Juni 2020. 

Mittwoch, 21. November 2018, Paradeplatz Zürich, abends. Das Netzwerk «Trust Square» hat eingeladen: Einen Steinwurf von den Zürcher Bankenpalästen entfernt wird Zukunft gemacht – ohne die Banken. ¬Vorreiter der Digitalisierung präsentieren dort innovative Tools zur Stärkung der Demokratie. Kryptische Powerpoint-Präsentationen für E-Voting-Lösungen mit Blockchain werden an die Wand projiziert. Es herrscht Aufbruchsstimmung.

Der Gründer der digitalen Plattform We¬collect, Daniel Graf, spricht zum Thema «Digitization kills the mediator», Digitalisierung beseitigt den Vermittler. Mit seinen digitalen Tools will Graf die Demokratie über die Zivilgesellschaft stärken. Für klassische Strukturen hat er nicht viel übrig. Dazu zählen auch die Verbände der Wirtschaft. Sie sollen nicht nur weiter geschwächt, sondern gar eliminiert werden. Seine Digitalisierungsideen passen bestens zur verbreiteten Vorstellung, dass die Einflussnahme von Verbänden und Spitzenverbänden in der Schweiz keine Zukunft mehr habe. Die Covid-19-Pandemie ist an diesem Abend noch weit weg.

Donnerstag, 27. Februar 2020, Stationstrasse 12, Bern-Liebefeld, 10 Uhr 30: Das Bundesamt für Gesundheit informiert vertraulich die Verbandsspitze von Pharma¬suisse darüber, dass der Bundesrat zur Bekämpfung von Covid-19 voraussichtlich die «besondere Lage» gemäss Epidemiegesetz ausrufen werde. Es sei darum jetzt besonders wichtig, dass die Behörden sich mit dem Apothekerverband kurzschliessen könnten. Nur über Pharmasuisse erreichen die Bundesstellen die 1800 angeschlossenen Apotheken in der ganzen Schweiz zeitnah. Handlungsbedarf und Informationsbedürfnis sind gross, zumal es sich im normalen Alltagsbetrieb beim Apothekergewerbe um eine föderalistisch aufgebaute Branche handelt. Sie ist im Wesentlichen kantonal geregelt. Aber jetzt geht es um eine sehr handfeste Frage: Braucht es eine Tragepflicht von Schutzmasken für Apotheker?

Die Leitungen laufen heiss, bei Pharmasuisse wie bei vielen weiteren Branchenverbänden. Coiffeursuisse entwickelt in Nachtschichten das Schutzkonzept für Coiffeure und liefert es quasi in letzter Sekunde vor der Wiedereröffnung an die Betroffenen. Und man munkelt, dass Gastrosuisse zum Ärger des gesamten Bundesrats fast im Alleingang die frühe Wiedereröffnung von Restaurants am 11. Mai durchpaukte.

Donnerstag, 19. März 2020, im digitalen Raum, morgens: Der internationale Pharmaverband IFPMA baut auf seine internationale Vernetzung. Neun global tätige Unternehmen forschen intensiv an der Bekämpfung der Pandemie und wollen intensiver kooperieren. Know-how und Produktionskapazitäten sollen gebündelt werden. Auch Tests, Impfstoffe und Behandlungen will man gemeinsam erforschen. In der ersten Phase der Pandemie wurde mehrfach Kritik an der Rolle der Pharma laut. Mit einer internationalen Kommunikationsoffensive zeigt IFPMA auf, dass für Tests, Impfungen oder Behandlungen kaum ein Weg an der Industrie vorbeiführen wird, sobald harte Erkenntnisse vorliegen.

Sonntag, 22. März 2020, im digitalen Raum, morgens: Die Schweizerische Bankiervereinigung bereitet Grosses vor. Sie organisiert eine Plattform für eine breit angelegte digitale Konferenz. Die KMU-Verantwortlichen von 120 Schweizer Banken machen sich ans Werk. Finanzminister Ueli Maurer verlangt ein Commitment. Er will alle diese Hausbanken von Schweizer KMU an Bord holen. Die Notverordnung für die KMU-Kredite steht kurz vor der Lancierung. 40 Milliarden Franken werden bereitgestellt. In wenigen Tagen wird die Idee – koordiniert von der Bankiervereinigung, zusammen mit den wesentlichen Spielern im Finanzmarkt – zu einem Mammutprojekt entwickelt.

Nachtschichten sind angesagt. Nach drei Tagen steht das Projekt. Eine Parforceleistung, schon am nächsten Tag werden die ersten Kredite vergeben. Die Lösung macht Furore: Ueli Maurer gilt als Macher, und die Schweizerische Bankiervereinigung fungierte über den digitalen Weg fast wie ein Startup als Taktgeber und Koordinator.

Die Vertreter der grössten Schweizer Exportbranchen, aber auch viele kleinere Verbände, die zuvor etwas in Vergessenheit geraten sind, melden sich in der Corona-Krise zurück. In der Heterogenität kantonaler Regelungen werden die Verbände zur zentralen Schnittstelle von den Bundesbehörden zur betrieblichen Praxis. Und dass Heinz Karrer, der Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, im Krisenstab des Bundes Einsitz hat, unterstreicht: Das Schweizer Verbandswesen spielt sich in der Krise mit Expertise, Engagement und dank Eigeninitiative eindrücklich zurück ins Zentrum der Macht. Blockchain spielt in der Pandemie dagegen keine Rolle.

Der Artikel von Lukas Golder ist erstmals am 28.06.2020 in der NZZ am Sonntag erschienen. 

Aktiv für unsere Mitglieder

Als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik standen auch wir während der Krise in engem Kontakt mit den Behörden, um unsere Mitglieder bestmöglich zu unterstützen. So haben wir unter www.hkbb-corona.ch relevante Informationen publiziert und mit unserer AskForce den Mitgliedern das Wissen von Expertinnen und Experten zugänglich gemacht. Daneben wollten wir in einer  Umfrage wissen, wie sich Covid-19 auf die Berufsbildung in unserer Region auswirkt und mit welchen Massnahmen Schul- und Lehrbetriebe unterstützt werden können in dieser aussergewöhnlichen Zeit. Sehen Sie zu diesem Thema die Einschätzungen von Expertinnen und Experten. 

Aber auch das Thema Aussenwirtschaft beschäftigte uns in dieser Zeit stark und wir zeigten an verschiedenen Webinaren auf, wie sich Covid-19 auf die Aussenwirtschaft ausübt und wie die aktuelle Krise protektionistische Tendenzen verschärft.

Konkrete Hilfestellungen zum Thema Zusammenarbeit in Zeiten von Corona gab es hier.

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