Wirksame Unternehmens-Verantwortung: Wieso der Indirekte Gegenvorschlag die bessere Lösung ist!
Im Vorfeld der Abstimmung vom kommenden 29. November gehen die emotionalen Wogen hoch: Kann, ja darf man überhaupt gegen die Konzernverantwortungsinitiative sein, wenn man einen Funken Anstand in der Brust hat? Die Befürworter stellen eine ganz einfache Gleichung auf: Wer für den Schutz der Menschrechte und der Umwelt ist, muss die Initiative unterstützen. Dass der Initiative ein indirekter Gegenvorschlag mit gleicher Stossrichtung, aber unterschiedlichem Lösungsansatz gegenübersteht, wird gerne ausgeblendet. In der öffentlichen Wahrnehmung geht der indirekte Gegenvorschlag denn auch fast unter. Zu Unrecht, wie ich finde!
Ein Gastbeitrag von Dr. Tobias Meili, Rechtsanwalt
Eines vorweg: Mit der Abstimmung vom 29. November wird die Schweiz klar «Ja» zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt sagen, selbst wenn wir die Initiative ablehnen. Es geht bei der Abstimmung vielmehr darum, wie dies erfolgen soll. Wir definieren also konkrete, neue Verhaltensregeln für alle betroffenen Schweizer Unternehmen. Dass die Umsetzung solcher Regeln mit Aufwand und Kosten verbunden sein wird, muss allen klar sein. Umgekehrt muss diesem Aufwand auch die angestrebte Wirkung gegenüberstehen. Somit muss die Wirksamkeit der Initiative bzw. des Gegenvorschlags von zentraler Bedeutung sein.
Der Gegenvorschlag ist kein eigenständiges Gesetz, sondern besteht in einer Ergänzung des Obligationen- und Strafrechts. Inhaltlich orientieren sich die Vorschriften an Regulierungen in der EU und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten (NL) und bewirken damit eine wünschenswerte Rechtsharmonisierung (Schaffung eines «level playing field»):
Stossrichtung sind einerseits grosse Unternehmen, welche zu einer umfassenden Berichterstattungspflicht zu nicht-finanziellen Themen (Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange, Menschenrechte sowie Korruptionsbekämpfung) verpflichtet werden. Im Rahmen dieser Pflicht müssen die betroffenen Unternehmen nicht nur die wesentlichen Risiken beschreiben, welche sich aus ihrer Geschäftstätigkeit (einschliesslich ihren Geschäftsbeziehungen) ergeben, sie müssen auch aufzeigen, wie sie solche Risiken erkennen und mit welchen Massnahmen sie diesen begegnen. Mit «Hochglanzbroschüren», wie von einigen Initiativbefürwortern karikiert, haben solche Berichte nichts gemein. Dies unterstreicht denn auch die Strafnorm: Wer falsche Angaben macht oder keinen Bericht erstattet, wird mit einer Busse von bis zu CHF 100'000 bestraft.
Sodann fokussiert der Gegenvorschlag auf solche Geschäftstätigkeiten, welche aus menschenrechtlicher Sicht ein höheres Risiko involvieren: Für alle Unternehmen, welche entweder Metalle oder Mineralien auf Konflikt- und Hochrisikogebieten in die Schweiz einführen oder hier bearbeiten, oder aber Produkte oder Dienstleistungen in der Schweiz anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt oder erbracht wurden, wird eine weitgehende Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht eingeführt. Die Sorgfaltsprüfungspflicht umfasst insbesondere die Einführung eines Managementsystems, mit dem relevante Risiken in der gesamten Lieferkette ermittelt, bewertet und adressiert werden müssen. Darüber hat die Gesellschaft jährlich Bericht zu erstatten. Dieser Bericht ist elektronisch zu veröffentlichen, selbst für Gesellschaften, welche keiner öffentlichen Berichterstattungspflicht unterliegen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Gegenvorschlag ein griffiges und wirksames Instrument zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt darstellt.
Gilt das auch für die Initiative? Dies muss – entgegen der Behauptung der Initianten – stark bezweifelt werden:
Dies liegt einerseits daran, dass die Initiative einen schwerwiegenden «Konstruktionsfehler» aufweist. Dieser versteckt sich im letzten Absatz der Initiative und verlangt die unbedingte Anwendung der Initiative (also: schweizerischen Rechts) auf weltweite Sachverhalte. Vorfälle, welche sich z.B. in Sambia abgespielt haben, sollen also durch Schweizer Gerichte beurteilt werden. Abgesehen davon, dass die Beweiserhebung vor Ort, also immer via Rechtshilfe, erfolgen muss, dürfte ein Schweizer Gericht weder widersprechendes Landesrecht noch einen allenfalls bereits vor lokalen Gerichten anhängig gemachten Prozess berücksichtigen. Schlimmstenfalls drohen widersprüchliche Gerichtsurteile in der gleichen Sache, welche beide von zuständigen Gerichten gestützt auf das jeweils «korrekte» anwendbare Recht ergehen.
Andererseits muss bezweifelt werden, dass die Initiative die angestrebte Verhaltenssteuerung haben würde. Dafür liefert ein rechtsvergleichender Blick nach Frankreich Anschauungsunterricht, wo seit 2017 die «Loi de Vigilance» in Kraft ist. Diese ist das einzige mir bekannte Gesetz, welches ein Haftungskonzept (zweistufig, mit vorgelagertem Feststellungsurteil) im Zusammenhang mit der Verletzung von Menschenrechten und der Umwelt durch weltweite Geschäftsaktivitäten vorsieht.
Zur Wirksamkeit der Loi de Vigilance liess die französische Regierung einen Bericht erstellen, welcher im Januar 2020 veröffentlicht wurde. Der 68-seitige Bericht begrüsst zwar, dass mit der Loi de Vigilance «hard law» eingeführt worden sei. Gleichzeitig stellt der Bericht aber ernüchtert fest, dass genau aus diesem Grund viele der betroffenen Unternehmen eine streng formalistische Haltung einnähmen. Diese Verrechtlichung habe dazu geführt, dass sich anstelle eines offenen, konstruktiven Dialogs zwischen Unternehmen und ihren stakeholdern ein Klima des Misstrauens («climat de défiance») eingestellt habe. Mit Verweis auf den gerichtlichen Durchsetzungsmechanismus äussert der Bericht die Befürchtung, dass Unternehmen vermehrt dazu übergegangen sein könnten, ihre Lieferketten zu straffen, zum Schaden lokaler Zulieferer in aus menschenrechtlicher Optik problematischen Ländern. Ernüchtert hält der Bericht sodann fest, dass sich der Durchsetzungsmechanismus der Loi de Vigilance bisher nicht bewährt habe (nur der Fälle sind derzeit hängig), dies ganz im Gegensatz zum Schlichtungsverfahren vor dem französischen National Kontaktpunkt, welcher aufgrund von OECD-Regeln eingerichtet wurde. Wiederholt äussert der Bericht schliesslich die Befürchtung, dass französischen Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten durch die Loi de Vigilance Wettbewerbsnachteile erleiden würden, da letztere Zugang zum französischen Markt hätten, ohne aber die Verpflichtungen der Loi de Vigilance einhalten zu müssen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Wirksamkeitsanalyse klare Vorteile des Gegenvorschlags gegenüber der Initiative aufzeigt. Wem der wirksame Schutz von Menschenrechten und Umwelt ein Anliegen ist, der sollte sich gegen die Initiative und damit für den Gegenvorschlag entscheiden!
Dr. Tobias Meili, LL.M., ist Rechtsanwalt und Partner bei Wenger Plattner