Aussenwirtschaftsforum 2021: «Die neue Normalität»

25.03.2021

Eine neue Normalität wird im internationalen Geschäft Einzug halten, sobald die Pandemie
weitgehend unter Kontrolle ist. Alberto Silini, Leiter Export-Beratung bei Switzerland Global Enterprise, erläutert im Interview, auf was sich Exporteure einstellen müssen. «Die neue Normalität» ist Thema des digitalen Aussenwirtschaftsforums, welches am 22. April 2021 stattfindet. Mehr Informationen zum Forum gibt es hier.

Thema «Internationales Geschäft in der neuen Normalität»: Auf welche «neue Normalität» müssen sich Exporteure einstellen? Welche Anhaltspunkte gibt es diesbezüglich bereits?

Alberto Silini: Die Digitalisierung hat durch die Pandemie einen staken neuen Schub erhalten. Kunden und Partner werden verstärkt über digitale Kanäle angesprochen, Termine finden digital statt, sogar Messen werden virtuell durchgeführt. KMU, die dies bisher noch nicht getan haben, müssen nun ihre digitale Fitness trainieren, denn viele dieser Veränderungen in unserem täglichen Umgang werden die Pandemie überdauern.

Das Reisen wird sicher, auch nachdem die Pandemie hierzulande wieder weitgehend unter Kontrolle ist, noch eingeschränkt bleiben im Vergleich zur Zeit vorher. Das Virus zirkuliert weiterhin in den Ländern der Welt, insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer werden wohl schnell impfen können als Industrieländer und neue Mutationen sind ebenfalls absehbar. So müssen wir uns darauf einstellen, dass Lockdowns oder zumindest Einreiserestriktionen bestehen bleiben. Die Übersicht zu behalten, wo was in welcher Form erlaubt ist, bleibt eine Herausforderung – S-GE bietet dazu übrigens eine praktische Kartenübersicht, die wir regelmässig aktualisieren (www.s-ge.com/corona). Gleichzeitig ist das Angebot im Flugverkehr nicht mehr so breit und flexibel wie vor der Pandemie und wir wissen nicht, ob und wann es dies wieder sein wird. Somit wird das Reisen – auch wenn es grundsätzlich wieder möglich wird – aufwändiger und unpraktischer ausfallen. Unter dem Strich resultieren vor allem für KMU mit wenig eigener Präsenz im Ausland Mehrkosten, Planungsunsicherheit und schlimmstenfalls sogar der Verlust von Kunden oder Partnern. Ein weiterer Grund, sich möglichst intensiv mit den Optionen des digitalen Kontakts auseinanderzusetzen.

Daran lässt sich ebenfalls ablesen, dass die Volatilität und die Unsicherheit im internationalen Geschäft noch länger bestehen bleiben wird. Wo es zu erneuten Lockdowns oder Einschränkungen kommt, reduziert sich auch immer die Nachfrage nach bestimmten Gütern oder Services, werden Investitionen in Frage gestellt. Hinzu kommt, dass internationale Spannungen, die die bisherige Handelsordnung in Frage stellten, weiter bestehen bzw. sich sogar vertiefen, wie etwa zwischen den USA und China. Auch ist die Frage nach den längerfristigen wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz zur EU weiterhin offen.

Viele Volkswirtschaften wurden hart getroffen. Unzählige Konjunkturprogramme von teilweise nie dagewesenen Grössenordnungen wurden lanciert – das kann auch eine Chance für Schweizer Firmen sein, etwa für solche, die sich an Infrastruktur-Projekten beteiligen. S-GE bietet hier eine praktische Übersicht über globale «Konjunktur-Stimuli» und Tipps, wie man bei Infrastruktur-Projekten zum Zug kommen kann: www.s-ge.com/infrastructure. Doch strukturelle Veränderungen bleiben schmerzhaft für die Nachfrage und längst nicht alle Märkte haben die Mittel für grosse Programme. Hinzu kommt, dass gleichzeitig der Protektionismus zunimmt. Viele Regierungen möchten vor allem lokal ansässige Unternehmen bevorzugen.

Da in der Aufholphase viele Firmen besonders aggressiv auftreten werden, um möglichst rasch neue Aufträge zu bekommen und sich wirtschaftlich zu erholen oder aufzuholen gegenüber der Konkurrenz, müssen KMU ausserdem damit rechnen, dass sich der Wettbewerb intensivieren wird.

Agilität im Erschliessen neuer Lieferketten wird ein Gebot der Stunde sein: Welche praktischen Herausforderungen stellen sich da den Unternehmen? Und wie können sie diese Herausforderungen meistern?

Die grosse Herausforderung, insbesondere für viele KMU, die spezielle hochwertige Vorprodukte benötigen, ist nicht nur die Identifikation, sondern auch die Kapazität von guten Lieferanten. Schliesslich sind derzeit nicht nur Schweizer Firmen dabei, ihre Lieferketten zu optimieren, alle ziehen ihre Schlüsse aus der Krise im letzten Jahr. Beschaffungsseitig heisst dies, dass Top-Lieferanten zum Teil bereits voll ausgelastet sind, da sie bereits von vielen Konkurrenten angegangen wurden.

Wenn ein KMU in einem Feld aktiv ist, in dem gute Lieferanten so umworben werden wie Kunden, muss die Schlussfolgerung sein, diese Beziehungen ebenso gut zu pflegen wie zu den Kunden. Die Unternehmen müssen sich bewusst sein, dass der Aufbau eines Lieferanten seine Zeit braucht und sehr bewusst gesteuert werden muss.

Welche Möglichkeiten stehen Unternehmen zur Verfügung, um bei ihren Export-Aktivitäten besser gegen Krisen gewappnet zu sein? Welche Lehren sind diesbezüglich aus der gegenwärtigen Krise zu ziehen?

Ein einfaches Mittel auch für kleinere Firmen ist die Planung in Szenarien. Es hat sich gezeigt, dass Unternehmen, die so vorgehen, rascher auf die Pandemie reagieren konnten und eben auf einen «Plan B» zurückgreifen konnten. Das bewusste Risikomanagement ist wichtiger denn je und, wie das letzte Jahr gezeigt hat, sind auch Extremszenarien in Betracht zu ziehen.

Eine weitere klassische, aber deshalb nicht weniger bedeutsame Massnahme ist die Diversifizierung von Absatz- und Beschaffungsmärkten – man soll eben nicht alle Eier in einen Korb leben.

Nicht zuletzt hat die Krise Firmen mit hoher Flexibilität auch durchaus belohnt: Wer schnell auf Opportunitiäten aufspringen konnte, indem etwa in der Pandemie dringend benötigte Güter produziert werden konnten, für den war das letzte Jahr keine Krise. Vielen Schweizer Firmen ist dies gelungen.

Stichwort «Glokalisierung»: Könnte dies eine erfolgreiche Strategie sein – mit welchen Konsequenzen für die Exportwirtschaft?

Global aktive Unternehmen kommen nicht herum um das Thema «Glokalisierung». Aus der Schweiz gibt es diverse prominente Beispiele, welche diese Strategie erfolgreich umsetzen. Nestlé, als global aktiver Konzern, produziert viele Produkte lokal um den Bedürfnissen besser entsprechen zu können und den lokalen Konsumenten auch das Gefühl zu geben, etwas «Einheimisches» zu kaufen – ganz zu schweigen von logistischen und ökonomischen Vorteilen. Doch auch viele KMU haben eine Produktion im Ausland eröffnet, um ihre Produkte dem lokalen Markt besser anzupassen zu können, etwa Sandmaster aus Zofingen in Indonesien. Schlüsselkomponenten können in der Schweiz entwickelt und produziert werden, im Markt erfolgt die Montage mit weiteren Bestandteilen. Das bedeutet nicht, dass in der Schweiz Arbeitsplätze abgebaut werden, im Gegenteil – die Existenz der Unternehmen bei uns im Land wird langfristig gesichert. Diese Strategie bringt ebenfalls Vorteile mit sich in Anbetracht der zunehmenden protektionistischen Tendenzen und Vorgaben für einen lokalen Standort, um etwa bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen berücksichtigt zu werden.

Inwiefern gibt es noch «Zukunftsmärkte», d.h. von Schweizer Unternehmen noch wenig erschlossene Wirtschaftsräume mit grossen Exportchancen?

Das hängt stark von der Branche, dem Zeithorizont und der Risikobereitschaft sowie Erfahrung eines Unternehmens ab. Potenzial für KMU sehen wir in Asien aktuell vor allem in Indonesien und Vietnam oder in Lateinamerika, zumal bei einem möglichen Abkommen zwischen EFTA und den Mercosur-Staaten. Doch auch diverse Länder in Afrika wie etwa Nigeria weisen ein sehr hohes langfristiges Potenzial auf. Solche Länder bergen nebst einem hohen Potenzial aber auch Risiken, welche gut abgewogen und abgeklärt werden müssen. Aber will man vom «First Mover Advantage» profitieren, dann können solche Märkte sicherlich in Betracht gezogen werden.

Alberto Silini, Leiter Export-Beratung bei Switzerland Global Enterprise, Bildquelle: https://www.s-ge.com/

Wir arbeiten mit der S-GE seit Jahren partnerschaftlich zusammen. Nebst Ihrem regionalen Exportberatungsstützpunkt, welchen sie in unseren Räumlichkeiten eingerichtet haben, bietet S-GE wöchentlich – meist donnerstags – Exportberatungsgespräche für Unternehmen und Organisationen unserer Region bei uns an der St. Jakobs-Strasse 25 an.

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