FinTech: Investieren mit der «Weisheit der Vielen»
Lassen sich mit FinTech bessere Investmententscheidungen treffen? Die Handelskammer beider Basel nimmt seit Anfang Jahr die FinTech-Branche in der Region Basel genauer unter die Lupe. In sechs Webinaren haben sechs FinTech-Unternehmen aufgezeigt, wie die Zukunft der Finanz- und Versicherungsbranche aussieht.
Im Interview mit Sebastian Comment, dem Geschäftsleiter von Clevercircles, werfen wir heute einen Blick auf neue Investmentmodelle.
Sebastian Comment, steigen wir doch ein mit einem «Elevator Pitch» ein. In wenigen Worten: Was kann Ihre Vermögensverwaltung, was andere nicht können?
Der Unterschied ist, dass bei uns der Kunde ganz direkt über sein Investment entscheidet und sich dabei selber seine Berater aussucht. Wir übernehmen dabei den Profiansatz: Bei Pensionskassen zum Beispiel entscheidet nie ein Mensch alleine, sondern es trifft sich ein Anlagekomitee. Dieses beobachtet, was der Markt macht. Auf dieser Basis wird entschieden, beispielsweise ob irgendwo eine Blase vermutet wird oder ob es anderswo günstige Einstiegslevels gibt. Je nach Entscheid des Anlagekomitees wird dann investiert.
Sie ersetzen dieses Anlagekomitee?
Wir überführen das Konzept des Anlagekomitees ins Internet und geben jedem Kunden die Möglichkeit, es in einem strukturierten Rahmen für sich zu nutzen. Bei uns trifft der Kunde den Entscheid. Er kann sich dabei auch taktisch positionieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu einem klassischen Roboadvisor. Dieser teilt Anlegende einer Strategieklasse zu und so erfolgt dann die Anlage. Der Kunde ist nicht wirklich involviert.
Kunden sind bei Ihnen stärker in Anlageentscheide involviert?
Dort wo es relevant ist ja. Aber wir sind keine Tradingplattform. Kunden können alle zwei Monate kostenlos ihr Portfolio prüfen und umstrukturieren, oder ein Rebalancing in Auftrag geben.
Jeder Kunde kann dabei sein persönliches Anlagekomitee konsultieren. Wir nennen das Circles. Es stehen auch viele Expertenstimmen zur Verfügung, auch neutrale Finanzjournalisten. Man kann sich zum Beispiel die Marktmeinung der Redaktion der Bilanz ansehen und deren Meinung mit der eigenen verbinden. Wir rechnen das anschliessend in einen persönlichen Umschichtungsvorschlag um. Das ist einmalig.
Dieses persönliche Anlagekomitee ist also Ihr grosses Unterscheidungsmerkmal.
Unter anderen. Ein anderes wichtiges Feature ist die Währungsabsicherung. Unsere Anleger können sich gegen Wertverluste des Dollars und des Euros absichern. Das wird von unseren Kunden stark genutzt. Man unterschätzt die Wirkung von sich verändernden Wechselkursen gerne. Wir bieten da eine einfache und flexible Lösung mit Konditionen, wie sie sonst nur grosse institutionelle Anleger haben. Man sitzt bei uns als Kunde also am Steuer und ist nicht nur Zuschauer, kann auf 2-3 Features zurückgreifen und verlässt sich auf sein eigenes Anlagekomitee.
Die Kunden schauen sich also an, was andere denken und können so ihren Anlageentscheid ableiten. Kann man das als eine Form von Schwarmintelligenz bezeichnen?
Der Begriff ist nicht zutreffend, da wir ihn vor allem aus der Tierwelt kennen. Von Vögeln oder Fischen. Wir verfolgen genau nicht diesen Schwarmansatz. Wir verfolgen das Prinzip der «Weisheit der Vielen». Dieser Begriff stammt von einem amerikanischen Journalisten und beschreibt, wie Gruppen in bestimmten Konstellationen bessere Entscheide treffen. Man findet in den Beschreibungen dieses Modells viele Beispiele. Leider fehlt das aus meiner Sicht wichtigste: Die direkte Demokratie der Schweiz.
Man stimmt bei Ihnen ab, wie in einer Demokratie?
Unsere Kunden geben alle zwei Monate in einer einfachen Umfrage ihre Meinung zu den Entwicklungen auf den wichtigsten Märkten ab. Clevercircles konsolidiert das am Schluss der Abstimmung. Niemand hat eine Kristallkugel. Auch Profis nicht. Wir geben jedem eine relevante Stimme. Anschliessend kann man dann seine eigenen Einschätzungen mit denjenigen seines Circles vergleichen. Das gibt dem Anleger Sicherheit, denn man ist bei seiner Entscheidungsfindung begleitet durch seine selbst gewählten Vertrauensleute.
Demokratische Abstimmungen, eine Form von Gamification und eine sehr starke Individualisierung. Man bekommt den Eindruck, Sie sprechen besonders eine junge Generation an. Trifft das zu?
Das lässt sich nicht am Alter festmachen. Das ist eine Frage der Einstellung. Wir waren von Anfang an für alle Personen offen, wir legen Wert auf ein gemischtes Publikum, denn erst mit Diversität entsteht Weisheit der Vielen. Unsere Hauptpersona steht typischerweise mitten im Leben und bringt ein gewisses Interesse an den Finanzmärkten mit.
Widerspiegelt sich dies auch in Ihrem Kundenstamm?
Bei uns melden sich junge Leute an wie auch Personen die bereits im Pensionierungsalter sind. Unsere Kunden haben das Bedürfnis involviert zu sein und wollen das nicht einfach ihrem Bankverwalter überlassen. Wir haben Leute, die kritisch sind und eine Meinung haben zu dem, was auf der Welt passiert.
Wir machen auch eine Form von Edutainment. Wenn man bei uns mitmacht, baut man mit relativ wenig Aufwand Wissen darüber auf, was an den Märkten passiert. Wir schaffen damit Transparenz. Wir sprechen so Leute an, die ganz gezielt eine Rolle mitspielen wollen im Anlageprozess und nicht einfach auf den einen "Experten" hören.
Also nicht diejenigen, die ihr Vermögen auf der Bank lassen, sondern diejenigen, die selber mitbestimmen wollen. Kann man sagen, Ihre Kunden sind entscheidungsfreudiger als anderswo?
Selber mitbestimmen stimmt 100%-ig. Entscheidungsfreudig stimmt zum grossen Teil. Und unsere Kunden wollen Wissen aufbauen, das ist quasi die Extrarendite bei unsere Lösung.
Sie stellen Ihren Kunden all zwei Monate Fragen zu den Markterwartungen. Funktioniert Demokratie in der Vermögensverwaltung tatsächlich?
Ja, absolut! Es gibt dazu noch nicht so viel Forschungsmaterial. Aber die Tendenzen zeigen in eine klare Richtung. Bisherige Erkenntnisse zeigen, dass es zu einer besseren Einschätzung der zukünftigen Marktentwicklung kommt, wenn die involvierten Leute vielseitig zusammengesetzt sind und sich unabhängig eine Meinung bilden.
Worauf führen Sie das zurück?
Gerade im Finanzbereich bewegt man sich oftmals in einer Denkbubble. Man liest dieselben Medien, hört auf dieselben Meinungsführer. Wer sich da mit einer abweichenden Meinung exponiert, hat genau eine Chance, richtig zu liegen. Wer zwei Mal falsch liegt, wird nicht mehr gehört. Dies behindert Diversität. Dementsprechend verspricht die Demokratisierung im Anlageprozess bessere Ergebnisse. Unsere Community hat in der Vergangenheit bessere Prognosen gemacht als die Profis.
Wir befinden uns aufgrund einer Pandemie gerade in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Wie schätzt Ihre Community eigentlich die Entwicklung in den kommenden Monaten ein?
Momentan überwiegen bei uns die Optimisten (Umfrageergebnisse im Februar 2020, Anm. d. Red.). 55% der Teilnehmenden sind optimistisch. Das sind mehr als letztes Jahr zur gleichen Zeit. Die Situation ist eigentlich seltsam, denn die Kurse steigen trotz der Krise. Letztes Jahr war die Einschätzung deutlich vorsichtiger. Man muss aber auch sagen: Es ist eine knappe Mehrheit. Viele unserer Anleger bleiben vorsichtig eingestellt, eben weil die Märkte schon sehr viel Positives vorweggenommen haben.
Was war eigentlich die Initialzündung für Clevercircles? Wie kam es zu Ihrer Geschäftsidee?
Clevercircles ist eine Idee, die aus einer Innovationsinitiative innerhalb der Bank CIC entstanden ist. Weil wir gesehen haben, dass sich die meisten RoboAdvisor gleichen. Wir haben deshalb weitergedacht und in einer Marktforschung herausgefunden, dass viele Menschen eine einfache automatische Lösung schätzen, aber regelmässig involviert sein möchten, wenn es um die Anlage ihres Geldes geht. Dabei ist Clevercircles der erste Schritt. Unsere Innovation wollen wir in Bezug auf Kunden und Märkte skalieren und wir realisieren mit und für andere Finanzinstitute neue Lösungen auf unserer bestehenden Technologie.
Stand dabei der Standort Basel je zur Debatte?
Wir sind eine strategische Geschäftseinheit der Bank CIC und rapportieren direkt an den CEO, Thomas Müller. Der Hauptsitz dieser Basler Traditionsbank ist seit jeher in Basel und die wichtigsten bankinternen Partner befinden sich alle hier in Basel an einem unserer Standorte am Marktplatz und neu auch an der Heuwaage oder am Bankverein im Schilthof.
Nun haben Sie in den letzten Jahren diese Geschäftseinheit aufgebaut. Wie verhält es sich mit den Standortbedingungen in unserer Region?
Wir sind in der Finanzbranche tätig. Die Rahmenbedingungen in der Finanzbranche sind streng und einheitlich für die ganze Schweiz geregelt und wir können uns unter der Aufsicht der FINMA auch in Basel bestens entwickeln. Die wichtigste Ressource, die richtigen Leute zu finden, ist überall schwer, auch wenn es in Zürich vielleicht den grösseren Markt gibt. Dieses Problem haben viele Banken und generell innovative Unternehmen. Umso wichtiger ist es, den Fintech Standort Basel zu stärken, zum Beispiel indem die Zusammenarbeit zwischen den etablierten Versicherungen und Banken und den jungen Playern gezielt gesucht wird. Dies wird eine zunehmende Sogwirkung auf Arbeitnehmende, Studierende und Multiplikatoren haben und die Entwicklung in unserer Region beschleunigen.
In unserer FinTech-Reihe haben wir verschiedene innovative Lösungen aus der Finanz- und Versicherungsbranche vorgestellt. Wie gut ist eigentlich die Vernetzung innerhalb der Basler FinTech-Szene?
Basel ist klein. Daher kennt man sich. Der Austausch erfolgt oft lose über persönliche Beziehungen.
Wäre es denn wünschenswert, dass sich die Szene regelmässig trifft?
Die Nähe und die persönlichen Kontakte in verschiedene Branchen ist eine der Stärken der Region Basel. Durch eine Institutionalisierung dieser Kontakte und dieser kollegialen Zusammenarbeit über Unternehmens- und Fachgrenzen hinaus, kann eine zusätzliche Sichtbarkeit gewonnen werden und neue Kreise von Investoren, Innovatoren und Umsetzern bis hin zu den Nutzern für dieses Thema in und über die Region hinaus begeistert werden. Solche Marketingeffekte helfen Basel auch im FinTech-Bereich zur Spitze zu gehören.
Zum Schluss: Weshalb ist es Ihnen so wichtig, den Menschen Wissen über das Anlegen zu vermitteln?
Jeder von uns ist Teil der Wirtschaft und jeder sollte sich über seine finanzielle Zukunft Gedanken machen.
Mein Appell ist: Viele Leute – quer durch alle Bevölkerungsschichten – fühlen eine grosse Distanz zu Anlagethemen. Das muss nicht sein. Wir wollen eine Brücke schlagen, Anlegen spannend machen, Interaktion fördern und Wissen vermitteln. Wir wollen die Leute einbinden und sie zu Anlageerfolgen führen. Jeder von uns ist Teil der Wirtschaft. Man muss nicht die Finanzzeitungen studieren, um eine Meinung zu haben, die relevant ist.
Wir haben alle eine Meinung, die relevant ist für Finanzanlagen?
Ja, unbedingt. Lassen Sie es mich an einem Beispiel zeigen: Wenn ein Lehrling eines Schreinereibetriebes das Gefühl hat, sein Chef sei nervös, weil er einen Grosskunden verliert. Dann ist das einfach eine Information. Wenn alle Lehrlinge in einer Region dieses Gefühl hätten und man dies messen könnte, wäre es hingegen ein vorauslaufender Konjunkturindikator. Wir sind alle Arbeitnehmer und Konsumenten und damit ein wichtiger Teil der Wirtschaft. Wir tragen alle Wissen in uns, das relevant ist. Habt keine Berührungsängste!
Wie viele Versicherungsapps haben Sie auf Ihrem Smartphone? Es könnte gut sein, dass künftig auch ein paar Basler Entwicklungen mit dabei sind. Die Basler Finanz- und Versicherungsbranche hat in den letzten Jahren einiges in digitale Innovation investiert. Entstanden sind mehrere Apps, die den Kontakt mit den Kunden erleichtern, aber auch interne Prozesse vereinfachen.
Mit unserer Webinar-Reihe möchten wir Ihnen ein paar dieser FinTech-Entwicklungen zeigen.