Stellungnahme zur Vorlage «Gasversorgungsgesetz»
Die Schweiz verfügt bislang über kein umfassendes Bundesgesetz für die Gasversorgung. Dies führte, vor allem in der jüngeren Vergangenheit, zu Rechtsunsicherheit bei den Unternehmen. Die Handelskammer begrüsst daher die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage ausdrücklich, sieht jedoch Verbesserungsbedarf in der konkreten Ausgestaltung.
Ausgangslage
Bislang existiert auf nationaler Ebene kein Gesetz für die Gasversorgung in der Schweiz. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung des Gasmarktes in der Schweiz muss als rudimentär bezeichnet werden. So beinhaltet das Rohrleitungsgesetz (RLG) von 1963 lediglich eine Transportpflicht für Gas. Alle übrigen Aspekte des Gasmarktes unterliegen allgemeinen gesetzlichen Grundlagen wie etwa dem Kartellgesetz (KG) oder dem Preisüberwachungsgesetz (PÜG). Streitfälle werde heute auf Basis dieser Gesetze durch das Bundesamt für Energie (BFE) oder die Wettbewerbskommission (WEKO) behandelt, womit eine parallele Zuständigkeit besteht.
Mit der Energiestrategie 2050 wird die zeitlich begrenzte Nutzung von Atomenergie in der Schweiz manifestiert. Je nach Szenario soll die dadurch entstehende Lücke neben erneuerbaren Energien in erster Linie durch Stromimporte oder mit Gas geschlossen werden. Insbesondere Befürworter eines hohen Autarkiegrades vom Ausland sehen in Erdgas daher, zumindest während der Übergangsphase, den zentralen Energieträger. Hinzu kommt synthetisches Gas, welches in Zukunft an Bedeutung gewinnen könnte und das Gasleitungssystem zu einer weiterhin bedeutsamen Infrastruktur macht. Ganz wesentlich ist auch die Rolle des Gases im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit in der Schweiz. Die Handelskammer erachtet die Schaffung eines Gasversorgungsgesetzes (GasVG) daher als überfällig und befürwortet den Entwurf vom 30. Oktober 2019, welcher den Gasmarkt umfassend betrachtet, grundsätzlich. An verschiedenen Stellen sehen wir jedoch teils deutlichen Nachbesserungsbedarf, damit das Gesetz seine Hauptzwecke, die Schaffung von Rechtssicherheit, den Erhalt von Versorgungssicherheit sowie die Gewährleistung einer wirtschaftlichen Gasversorgung, erfüllen kann. Dazu gehört analog zum Stromversorgungsgesetz (StromVG) auch ein klares Bekenntnis in der bundesrätlichen Botschaft, dass ein Hauptzweck des Gesetzes im Festlegen von Regeln über den Netzzugang sowie der Höhe der Netznutzungsentgelte besteht.
Konzeption
Das Gasversorgungsgesetz (GasVG) sieht eine spezialgesetzliche Regelung des Netzzugangs im Gasmarkt vor, um sowohl die Rechts- als auch die Versorgungssicherheit langfristig sichern zu können. Die konkrete Ausgestaltung unterliegt dem Grundsatz, dass der Wettbewerb im Gasmarkt dort wo ein solcher möglich ist, erhöht werden soll. Voraussetzungen, die im Einklang mit Erkenntnissen der OECD geschaffen werden müssen, sind:
1. Die Schaffung eines regulatorischen Rahmens, welcher den Zugang zu den nicht wettbewerblichen Bereichen garantiert, insbesondere zum Netz.
2. Die Ermöglichung der Wahlmöglichkeiten der Konsumenten.
3. Die Schaffung eines Mechanismus zur Zuteilung von knappen Netzkapazitäten.
4. Die Schaffung eines unabhängigen, fachkundigen Regulators.
5. Die Trennung (Entflechtung) der nicht wettbewerblichen (v.a. Netzbetrieb) von den wettbewerblichen Bereichen (v.a. Produktion, Handel und Vertrieb).
Da die Schweiz nur in einem sehr beschränkten Umfang über eigenes Gas (z.B. Biogas) verfügt, ist ihr Gasmarkt stark von den umliegenden Ländern, insbesondere Deutschland und Frankreich, sowie der Niederlande abhängig, über die das Gas in die Schweiz gelangt. 99 Prozent des nationalen Gasverbrauchs werden importiert. Hauptherkunftsländer sind Norwegen und Russland. Bei der Beschaffung spielen zum einen langfristige Importverträge, immer mehr aber auch Handels- und Börsenplattformen eine wichtige Rolle. Der Bundesrat strebt eine möglichst weitgehende Harmonisierung der Bestimmungen des Gasgesetzes mit jenen der Europäischen Union (EU) an, um die internationale Einbindung des Schweizer Gasmarktes sicherzustellen. Hierbei muss erwähnt werden, dass die vollständige Marktöffnung in der EU bereits im Juli 2007 stattgefunden hat.
Zu den Punkten der Vernehmlassung
Stellungnahme zum Thema «Marktöffnung»
Der Bundesrat bevorzugt eine Teilmarktöffnung im Gasbereich und sieht dabei keine spätere vollständige Marktöffnung vor. Da die gewählte Schwelle zur Marktöffnung von 100 MWh pro Verbrauchsstätte und Jahr, in der Vorlage bereits sehr niedrig angesetzt wurde, sollte stattdessen eine vollständige Marktöffnung angestrebt werden. Eine Teilmarktöffnung, welche bereits einen grossen Teil der Endverbraucher einschliesst, wird in diesem Zusammenhang eher als Behinderung einer effizienten Neuregelung und daher als schädlich gesehen. Zudem stünde eine Teilmarktöffnung der Harmonisierung mit EU-Recht im Wege, welche die Handelskammer im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit der Schweiz als zielführend erachtet.
Stellungnahme zum Thema «Netzzugangsmodell»
Die Handelskammer befürwortet diesen pragmatischen Ansatz, da er die Komplexität reduziert und zudem keine strukturellen Nachteile einzelner Marktteilnehmer zu befürchten sind. Die Transitströme in das Entry-Exit-System Schweiz zu integrieren und somit dieser Regulierung zu unterstellen, erachtet die Handelskammer hingegen als nicht optimal. Die Handelskammer bewertet die heute ausgeführte Praxis als effizient und erfolgreich. Wir plädieren daher dafür, diese im Gasversorgungsgesetz festzuschreiben.
Stellungnahme zum Thema «Entflechtung»
Die Handelskammer befürwortet, dass die Transportnetzbetreiber keine Aufgaben bei der Kapazitätsbewirtschaftung haben und analog zu den Verteilnetzbetreibern erleichterte Entflechtungsvorschriften erfüllen müssen. Wir unterstützen ausserdem den marktnahen Ansatz, dass der Marktgebietsverantwortliche durch die Gaswirtschaft gegründet wird, da dies eine effiziente Umsetzung verspricht.
Stellungnahme zum Thema «Messwesen»
Wir sehen es für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit als ausreichend an, wenn ausschliesslich für Verbrauchsstätten mit einem jährlichen Verbrauch ab 1 GWh eine Lastgangmessung mit Datenübertragung verlangt wird.
Stellungnahme zum Thema «Datahub»
Die Handelskammer befürwortet die Schaffung eines Datahubs ausdrücklich. Die Verknüpfung mit einer Lösung im Strombereich erachten wir als effizient und sinnvoll.
Stellungnahme zum Thema «Bilanzierung»
Eine 24-stündige Bilanzierungsperiode sehen wir als ausreichend an. Eine niedrigere Frequenz stellt aus heutiger Sicht keinen Zusatznutzen dar.
Stellungnahme zum Thema «Kugel- und Röhrenspeicher»
Uns ist bewusst, dass die bestehenden Kugel- und Röhrenspeicher eine essentielle Rolle bei der Implementierung einer 24-stündigen Bilanzierungsperiode spielen. Weiterhin befürworten wir, dass die Kapazität genannter Speicher für übergeordnete Zwecke, wie etwa Versorgungssicherheit, zur Verfügung gestellt werden soll. Das vorgeschlagene Vorgehen erachten wir jedoch aus liberaler und ordnungspolitischer Sicht als höchst problematisch. So haben die betroffenen Unternehmen unter bestimmten Annahmen in diese Speicher investiert, sodass ein ökonomischer Nutzen für sie daraus entstehen kann. Längst sind nicht alle dieser Speicher amortisiert und binden somit Eigenkapital der Investoren. Der ökonomische Mehrwert der durch die gezielte Nutzung der Speicher zur Bedienung von Nachfragespitzen bei deren Realisierung angenommen wurde, entfällt bei dem in der Vorlage vorgeschlagenen Vorgehensweise vollständig, da hier nur die kalkulatorischen Kosten abgegolten werden sollen. Wir plädieren daher dafür, dass die Kapazität wie vorgeschlagen exklusiv verwendet werden kann, jedoch zu einem Preis, der deutlich über den Grenzkosten liegt. Plausibel scheint ein durchschnittlicher, allenfalls synthetisch zu bildender Preis für Nachfragespitzen, welcher den ökonomischen Mehrwert der Investition für die Unternehmen abbildet. Hierfür muss zunächst ebenfalls der ökonomische Schaden für die betroffenen Endverteiler bzw. Investoren beziffert werden.
Auch wenn neue Anlagen von der vorgeschlagenen Regelung nicht betroffen wären, muss befürchtet werden, dass sonst ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen wird, der Anreize zur Investition in solche Speicheranlagen torpediert. Wir befürchten überdies eine überbordende Bürokratie durch zahlreiche Ausnahmegesuche, die ebenfalls nicht in unserem Interesse liegt.
Weitere Aspekte
Aus Sicht der Handelskammer werden verschiedene Aspekte der Gasversorgung, die insbesondere die Versorgungssicherheit tangieren, im Entwurf des Gesetzes sowie dem erläuternden Bericht bislang nicht oder nur ungenügend behandelt.
So wird in Kapitel 1.4.2 Neue Wachstums-, Energie- und Klimapolitik des erläuternden Berichts zwar erwähnt, dass sich durch die Dekarbonisierung des Energieverbrauchs die Nachfrage nach fossilen Energieträgern wie Erdgas reduzieren wird: «Um ihre Klimaziele zu erreichen, muss die Schweiz die Energieversorgung jedoch längerfristig ohne fossile Energieträger gewährleisten können. [...] der Erdgasverbrauch [muss] deutlich reduziert und die verbleibende Nachfrage nach Gas soweit möglich mit erneuerbarem Gas gedeckt oder aber gesellschaftlich akzeptierte Lösungen für die Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO2 gefunden werden. Weiter heisst es, dass «Gas [...] jedoch kurz- bis mittelfristig ein wichtiger Energieträger bleiben [wird]». Somit ergibt sich ein deutlicher Zielkonflikt der Dekarbonisierung auf der einen Seite und dem Erhalt und Ausbau der Versorgungssicherheit auf der anderen Seite. Schliesslich bleibt im vorliegenden Bericht die Investorensicht, insbesondere in Bezug auf eine Amortisation von Infrastrukturen und weiteren Anlagen aussen vor. Diese Anlagen sind für die Versorgungssicherheit zentral, können, auch aufgrund regionaler Ambitionen zur Stilllegung des Gasnetzes, jedoch nicht gewinnbringend amortisiert werden. Die Handelskammer spricht sich dezidiert gegen eine Stilllegung von Infrastrukturen jeglicher Art aus, die eine wichtige Rolle für die Versorgungssicherheit spielen oder künftig spielen könnten.
Weiter ist im Bericht erwähnt, dass die Schweiz nicht Teil der «Koordinierungsgruppe Erdgas» der EU ist, deren Aufgabe im Informationsaustausch sowie der Entwicklung kurz- und langfristiger konkreter Massnahmen zur Verbesserung der EU-Gasversorgungssicherheit besteht. Eine Massnahme bestand in der Schaffung eines Solidaritätsmechanismus im Falle eines Versorgungsengpasses mit Gas. Wie der Bericht ausführt, ist «[n]ach diesem [...] jeder EU-Mitgliedstaat verpflichtet, einem anderen Mitgliedstaat – sofern dieser über das Gasnetz direkt oder über einen Drittstaat mit ihm verbunden ist – Gas zu liefern, falls der Versorgungs-Notfall ausgerufen wird und bereits alle möglichen anderen Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung ergriffen wurden». Es ist unklar, inwiefern die Schweiz im Falle eines Versorgungsengpasses mit Gas in diesen Solidaritätsmechanismus integriert ist. Diese Frage gilt es zügig zu klären. Sollte sich hierbei herausstellen, dass die Schweiz nicht eingebunden ist, muss im Nachgang darauf hingewirkt werden, dass dies so rasch wie möglich geschieht.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwiefern ein allfälliges Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU einen Einfluss auf das Gasversorgungsgesetz haben könnte. Dies hätte zum einen Auswirkungen auf den angestrebten Grad der Harmonisierung des Gesetzes mit Regelungen der EU, zum anderen stellte sich somit auch die Frage, ob die vollständige Marktöffnung nicht die Variante darstellt, die dauerhaft Rechts- und Versorgungssicherheit schaffen kann. Schliesslich wurde die vollständige Marktöffnung im Bereich Gas in der EU, wie oben erwähnt, bereits vor über zwölf Jahren erfolgreich eingeführt.