«Korruption untergräbt die Demokratie und den Rechtsstaat!»
Wo steht die Korruption auf dem Sorgenbarometer der Schweizer Wirtschaft? Ziemlich tief, wenn es um Aktivitäten der einheimischen Unternehmen im eigenen Land geht. Ziemlich hoch, sobald sich Geschäftstätigkeiten ins Ausland verlagern. Deshalb investieren Schweizer Unternehmen viel Zeit und Energie in Korruptionsbekämpfung und -vermeidung.
Ein Interview mit Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter.
tribune: Wie stark beschäftigt Sie als Wirtschaftsvertreterin und Aussenpolitikerin das Phänomen Korruption?
Elisabeth Schneider-Schneiter: Dies ist ein wichtiges Thema. Unser Land steht im Korruptionsranking von Transparency International zwar gut da. Wenn Schweizer Unternehmen jedoch mit Ländern geschäften, die weiter hinten auf dieser Liste stehen, sieht es anders aus.
Gibt es Korruptions-Hotspots?
Als Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats steht es mir nicht zu, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen. Transparency International spricht diesbezüglich aber Klartext. Als Mitglied der Parlamentarierdelegation im Europarat beschäftigt mich das Thema jedoch regelmässig. Im Saal in Strassburg sitzen ja auch Vertreter von Staaten, in denen Korruption buchstäblich «zum Geschäft» gehört.
Russland zum Beispiel?
Persönlich finde ich es gut, dass Russland nach dem Stimmrechtsentzug vor fünf Jahren wegen der Ukraine-Krise diesen Juni wieder in den Europarat zurückgekehrt ist. Boykott ist keine Lösung. Nur innerhalb geregelter wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen kann die Staatengemeinschaft anfälligen Mitgliedern zeigen und vorleben, dass Korruption die Demokratie und den Rechtsstaat untergräbt und das organisierte Verbrechen fördert.
Wie sind Schweizer Unternehmen mit Korruption konfrontiert?
Korruption gehört zu den anspruchsvollsten Herausforderungen vieler im Ausland tätiger Unternehmen. KMU sind häufiger damit konfrontiert als Multis. Vielerorts herrschen in einem anderen Land mit einer anderen Kultur auch andere politische und rechtliche Verhältnisse. Da kommt es insbesondere bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und in Wirtschaftssektoren wie Bau- und Immobilienprojekten vor, dass Auftraggeber einem Bewerber zu verstehen geben, eine Extrazuwendung an Entscheidungsträger würde seine Chancen für einen Zuschlag erhöhen.
Früher galt dies als Gentlemens-Delikt.
Vor über 20 Jahren hat die internationale Staatengemeinschaft den Kampf gegen Korruption und Bestechung aufgenommen. Bereits 1997 haben die OECD-Staaten ein Übereinkommen zur Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr beschlossen. 1999 folgte das Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats und 2003 verabschiedeten auch die Vereinten Nationen ein Übereinkommen gegen die Korruption. Die Schweiz hat diese Bestrebungen immer unterstützt. Die Einsicht ist in dieser Zeit gewachsen und heute breit abgestützt, dass Korruption eines der grössten Entwicklungshindernisse darstellt und Spannungen im sozialen Gefüge zur Folge hat.
Und in der Schweiz?
Erst vor drei Jahren hat das Parlament den bestehenden Korruptionsartikel 322 des Schweizer Strafgesetzbuchs mit einer Reihe von Bestimmungen ergänzt und ihn dabei durchwegs verschärft. So ist seit 2016 neu auch aktive und passive Bestechung im privaten Bereich strafbar. Zudem kann neben dem Täter selber auch das Unternehmen, für das er arbeitet, sanktioniert werden. Konsequenterweise können auch Verwaltungsräte strafrechtlich verfolgt werden, wenn in der von ihnen kontrollierten Firma im In- wie im Ausland aktiv oder passiv bestochen wird.
Haben die sonst eher regulationsskeptischen Wirtschaftsorganisationen das mitgetragen?
Vollumfänglich, und zwar aus drei Gründen. Erstens aus unternehmerischen: Wer im Geschäftsleben aktiv besticht oder passive Korruption duldet, schneidet sich ins eigene Fleisch. Er riskiert, auf heimischem wie auf internationalem Parkett keine Aufträge mehr zu erhalten. Zweitens: Auch aus sozialen und politischen Gründen liegt der Kampf gegen Korruption im ureigenen Interesse der Wirtschaft. Korruption verzerrt den Zugang zu staatlichen Leistungen und verursacht Spannungen im sozialen Gefüge. Und last but not least auch aus wirtschaftlichen Gründen, denn Korruption verfälscht Transparenz und Wettbewerb, erschüttert das Vertrauen von Investoren und führt dazu, dass Kapitalanlagen anderswo getätigt werden. Kurz gesagt: Es haben mittlerweile alle gemerkt, dass Korruption hohe wirtschaftliche und gesellschaftliche Kosten verursacht. Und nicht nur das: Der Imageschaden für ein Unternehmen kann beträchtlich sein, wenn Investoren, Geschäftspartner oder die Öffentlichkeit von korruptem Verhalten in seinem Verantwortungsbereich erfahren.
Wie schützt sich ein Schweizer Unternehmen in der Praxis vor aktiver oder passiver Korruption?
Wenn es grenzüberschreitende Korruption aufdecken und vermeiden will, muss sich die höchste Führungsebene darum kümmern. Idealerweise formuliert diese ethische Richtlinien und erlässt explizite Compliance-Verpflichtungen, die von der Unternehmensleitung unterstützt und kontrolliert werden. Das Sekretariat für Wirtschaft Seco stellt im Ausland tätigen Schweizer Unternehmen die Broschüre «Korruption vermeiden» zur Verfügung, welche mögliche und empfohlene Massnahmen und Vorgehen in diesem Zusammenhang auflistet.
Wie schwer wiegen die Nachteile, die sich unsere Wirtschaft mit diesem Wohlverhalten auferlegt?
Auf kurze Sicht geht sicher manchmal der eine oder andere Auftrag verloren. Auf lange Sicht profitiert jedes Unternehmen aus den erwähnten Gründen vom Verzicht auf aktive oder passive Korruption. Korruption ist ein No-Go. Ganz allgemein müssen Wirtschaft und Gesetzgeber aber aufpassen, dass wir vor lauter Mustergültigkeit nicht ins Übertreiben verfallen. Wir neigen bekanntlich zum «Swiss Finish», das heisst, wir wollen es immer noch etwas besser machen als alle anderen. So aktuell beispielsweise bei der Unternehmensverantwortungsinitiative, die der Schweizer Wirtschaft wirklich tonnenschwere Fesseln anlegen würde. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen!
Das Interview führte Roger Thiriet für das Magazins «tribune».