«Es gibt keinen medizinischen Fortschritt ohne Tierversuche»
Tierversuche kommen erst dann in Frage, wenn alle alternativen Methoden ausgeschöpft sind. Prof. Dr. Rolf Zeller vom Departement Biozentrum der Universität Basel erläutert, wie die Forschenden dabei das Tierwohl sicherstellen.
Herr Zeller, wofür braucht es in der Forschung Tierversuche?
Wir benötigen Tierversuche, wenn es keine Alternativmethoden gibt und Versuche mit zellulären Systemen oder in zellbasierten Organsystemen ausgeschöpft sind. Meine Gruppe am Departement Biomedizin ist in der Grundlagenforschung tätig und beschäftigt sich mit der Organbildung in der Embryonalentwicklung. Das sind hochkomplexe Prozesse, und diese können wir nicht in der Petrischale studieren. Ein anderes Beispiel ist die Tumorbiologie. Heutzutage sterben Krebspatientinnen und -patienten meistens nicht am primären Tumor, sondern an Metastasen. Um die Metastasierung zu erforschen, braucht es Tierversuche. Das Wissen, das wir aus Tierversuchen gewinnen, wird auch zur Entwicklung von alternativen Methoden verwendet. Viele dieser Methoden wie Organoide, Stammzellen und Bildung von Neuronen in Kultur wurden mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt.
Mit was für Tieren arbeiten die Forschenden an der Universität Basel?
Der Grossteil der Forschung wird mit Mäusen gemacht. In der Neurobiologie sind auch Ratten wichtig. Weiter arbeiten unsere Forschenden mit Fischen, Krallenfröschen, Hühnerembryonen, Fruchtfliegen und Fadenwürmern. Je nach Fragestellung braucht es unterschiedliche Tiere.
Aktuell wird also nicht mit Primaten in Basel geforscht. Wäre das in Zukunft wieder denkbar?
Das ist durchaus denkbar, wenn es um klinische Studien für Medikamente geht. Wir haben schon vor langer Zeit entschieden, dass es keinen Sinn macht, dass jede Universität eine eigene Tierhaltung für Primaten führt. Denn ihre Haltung ist sehr anspruchsvoll. Wenn Forschende der Uni Basel mit Primaten forschen müssten, würde dies wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit dem Primatenzentrum der Universität Fribourg oder einem Primatenzentrum in Deutschland stattfinden. In den USA gibt es übrigens Bestrebungen, eine neue Primatenart in die Forschung einzuführen, den Mausmaki. Diese Art gehört zwar zu den Primaten, ist aber evolutionär sehr weit von Menschenaffen entfernt und Nagern ähnlich. Mausmakis leben jedoch länger als Mäuse und sind deshalb besser geeignet, um zum Beispiel neurodegenerative Erkrankungen zu erforschen.
Nach welchen Prinzipien führen Forschende Tierversuche durch? Wie stellen sie das Tierwohl sicher?
Das Tierschutzgesetz und die Tierversuchsverordnung regeln die Tierversuche sehr strikt. Forschende, die Tierversuche durchführen, müssen über die nötigen Kenntnisse verfügen, eine spezifische Ausbildung absolvieren und Fortbildungen besuchen. Weiter müssen sie direkt beim Bund eine Bewilligung für jeden Tierversuch beantragen. Diese Anträge werden dann sorgfältig von den kantonalen Behörden bearbeitet, welche die Tierhaltungen vor Ort am besten kennen und überwachen. Die Forschenden müssen der kantonalen Tierversuchskommission, in der auch Tierschutzorganisationen vertreten sind, das Projekt im Detail erklären, die Notwendigkeit des Tierversuchs beweisen und auch das sogenannte 3R-Prinzip «Replace, Reduce, Refine» in der Versuchsplanung berücksichtigen. Es geht darum, Tierversuche zu verbessern und wann immer möglich zu vermeiden. Im Vorfeld muss genau geplant werden wie für das Tierwohl gesorgt wird. Wichtige Details wie die Anästhesie, die Schmerzlinderung und die Tierpflege müssen im Antrag genau beschrieben werden. Auch der Schweregrad des Tierversuchs muss im Vorfeld definiert werden. Im Bewilligungsprozess gibt es immer Diskussionen und Anpassungen – zentral ist dabei die Güterabwägung. Nach bestem Wissen und Gewissen muss der Tierversuch und das potentielle Leid mit dem erwarteten Erkenntnisgewinn abgewogen werden. Nur wenn dies positiv ausfällt, kann der Tierversuch bewilligt werden. Im Tierversuch selbst werden alle Tiere täglich kontrolliert, um wenn nötig schnell reagieren zu können, bis zum möglichen Abbruch. Die Verantwortung für die korrekte Durchführung liegt bei Forschenden, welche die Projekte leiten, sie sind dafür auch haftbar.
Nehmen wir an, die Tierversuchsinitiative würde angenommen werden und Tierversuche wären verboten: Welche Auswirkungen hätte das für die Forschung an der Universität Basel?
Lebenswissenschaften und Biomedizin in heutiger Form wären nicht mehr möglich. An der Universität Basel wären grosse Teile der Grundlagen und translationalen Forschung lahmgelegt. Ohne Tierversuche müsste man zum Beispiel Medikamente, deren Wirkung man in Zellen oder mit Computermodellen nur teilweise untersuchen kann, direkt an Menschen erproben. Neue Wirkstoffe werden heute in Tierversuchen auf mögliche schädigende Wirkungen getestet. Das würde wegfallen und Unfälle in klinischen Studien würden sich häufen. Hier stellt sich die Frage, ob das ethisch vertretbar wäre und Forschung so überhaupt noch Sinn machen würde. Ich würde es als absolut unethisch erachten, von zellulären Systemen direkt in Patienten zu gehen.
Wie würde unser Alltag beeinflusst?
Am Anfang würden wir nicht viel merken, wir haben ja unsere Medikamente. Die Initiative würde uns jedoch vom Rest der Welt isolieren und den Zugang zu neuen Medikamenten und Therapien blockieren. Es gibt keinen medizinischen Fortschritt ohne Tierversuche. Ein Beispiel für eine verbreitete Krankheit, über die wir leider noch nicht so viel wissen, ist Alzheimer: Es wäre ein riesiger Durchbruch, wenn wir sie zum Zeitpunkt der Diagnose stoppen oder zumindest verlangsamen könnten. Hier braucht es noch massiv Forschung.