Sterbehilfe bei Cyborgs
Technologische Entwicklungen in der Biomedizin und in der Informationstechnologie stellen die traditionelle Rechtsprechung vor neue Herausforderungen. An der Juristischen Fakultät der Universität Basel gehen die Forschenden der Frage nach, welchen Einfluss der technologische Fortschritt auf das Recht hat.
Beim Begriff «Cyborg» denken die meisten wohl an Science-Fiction-Filme. Jedoch sind Menschen, bei denen dank technischer Unterstützung die körperlichen Funktionen verbessert oder gar wiederhergestellt werden, bereits Wirklichkeit. «Es gibt keine juristische Definition des Cyborgs; die Verbindung von Mensch und Maschine wirft aber spätestens dann neue Rechtsfragen auf, wenn Technologien zum Einsatz kommen, die fest in den Körper integriert werden», erklärt Bijan Fateh-Moghadam, Professor für Grundlagen des Rechts und Life-Sciences-Recht an der Universität Basel, «es gibt zahlreiche solche Anwendungen im medizinischen Bereich.» Der Rechtswissenschaftler befasst sich mit dem Einfluss des technologischen Wandels auf den rechtlichen Wandel.
Fateh-Moghadam nennt ein Beispiel, das ihn aktuell beschäftigt: Bei Patientinnen und Patienten mit Herzrhythmusstörungen werden Implantierbare Cardioverter Defibrillatoren (ICD) im Brustkorb eingesetzt. Sie können im Fall eines gefährlichen Herzkammerflimmerns selbstständig Elektroschocks abgeben und so den normalen Herzrhythmus wiederherstellen. «Es wurde jedoch zu wenig bedacht, dass die ICD zu Problemen am Lebensende der Patienten führen können, wenn keine Therapien mehr möglich sind und sie in Frieden sterben sollten. Die ICD verunmöglichen teilweise einen würdevollen Sterbeprozess, weil sie diesen als Alarmsignal auswerten und Elektroschocks auslösen», schildert der Rechtswissenschaftler das Problem.
Es stellt sich die Frage: Unter welchen Voraussetzungen dürfen diese Herzschrittmacher deaktiviert werden? «Bisher wurde unterschieden, ob sich das lebensverlängernde Gerät ausserhalb des Körpers befindet oder im Körper integriert ist. Sobald es im Körper implantiert war, wurde das Deaktivieren der strafbaren aktiven Sterbehilfe gleichgesetzt. Dies ist aber problematisch, weil immer mehr intelligente Technologien entwickelt werden, die Körperfunktionen analysieren und Behandlungsentscheidungen treffen. Es kann nicht sein, dass der Patient nach der Implantation die Kontrolle über das Gerät verliert und durch Medizintechnik bevormundet wird», so Fateh-Moghadam. Es sei zentral, die Patientenautonomie sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass die Menschen umfassend aufgeklärt werden über die Funktionsweise der Geräte.
Der dynamische technologische Fortschritt bringt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedensten Disziplinen immer wieder dazu, Regelungen neu zu diskutieren und die Technologien neu zu bewerten. Sei es beim autonomen Fahren, bei der künstlichen Intelligenz oder bei Eingriffen ins menschliche Erbgut. Fateh-Moghadam: «Wir erleben aktuell eine weitere industrielle Revolution, bei der transformative Technologien sämtliche Lebensbereiche umfassen und bestehende ethische und rechtliche Wertungen in Frage stellen.»
Weitere Informationen: Doktoratsprogramm «Recht im Wandel» der Universität Basel