«Es gibt Dinge, die kann man nicht ersetzen»
Prof. Dr. Torsten Schwede, Vizerektor Forschung an der Universität Basel, sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Beteiligung der Schweiz an den EU-Rahmenprogrammen für Forschung und Innovation. Gabriel Schweizer, Leiter Aussenwirtschaft bei der Handelskammer beider Basel, sprach mit ihm über die aktuelle Situation.
G. Schweizer: Herr Professor Schwede, die Schweiz ist seit Kurzem nicht mehr voll am Forschungsprogramm Horizon Europe assoziiert. Welche Konsequenzen hat das für die Forschenden an der Universität Basel?
T. Schwede: Es gibt verschiedene Programme, die wir unterscheiden müssen. Die deutlichsten Konsequenzen für unsere Forschenden sehen wir im Ausschluss aus der Personenförderung in der ersten Säule von Horizon Europe, «Excellent Science». Ohne Zugang zum European Research Council (ERC) wird es schwieriger werden, herausragende Forschende aus dem Ausland anzuwerben. Bei Programmen der zweiten Säule «Globale Herausforderungen» wird die Schweiz als nicht-assoziierter Drittstaat behandelt, ohne die Möglichkeit europaweite Projekte zu koordinieren. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) hat verschiedene Ersatzprogramme aufgesetzt, um zumindest die finanziellen Folgen abzufedern. Es gibt gerade sehr viel Unsicherheit unter den Forschenden, wie es weitergehen wird. Das ganze Ausmass der Konsequenzen wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen.
Zu den Ersatzprogrammen des Bundes gehören unter anderem 400 Millionen Franken zur direkten Finanzierung von Horizon-Projektteilnehmenden. Sind Sie froh über diese Übergangsmassnahmen?
Die Förderung aus den Horizon Programmen ist – nach dem SNF – die zweitwichtigste Drittmittelquelle. Forschende an der Uni Basel haben 2020 über europäische Rahmenprogramme rund 90 Millionen Euro eingeworben. Es ist notwendig, dass wir solche Ausfälle national ausgleichen, wenn wir in der Forschung weiterhin international wettbewerbsfähig bleiben möchten.
Bis wann muss aus Ihrer Sicht spätestens eine Voll-Assoziierung der Schweiz an Horizon erfolgen?
Wir werden vermutlich einen kontinuierlichen Erosionsprozess sehen und schrittweise aus wichtigen Netzwerken herausfallen. Je länger sich der Ausschluss hinzieht, umso gravierender werden die Auswirkungen. Die Schweiz sollte deshalb möglichst zeitnah eine Assoziierung an Horizon Europe anstreben.
Es gibt Stimmen, die fordern, dass die Schweiz zukünftig vermehrt mit den USA, mit Israel oder Grossbritannien die Forschungszusammenarbeit ausbauen soll. Dort gäbe es mehr Spitzenuniversitäten als in der EU. Was sagen Sie dazu?
England und Israel sind, im Gegensatz zur Schweiz, auf der Liste derjenigen Länder, mit denen die EU Assoziationsverhandlungen für Horizon Europe führt. Das zeigt, dass auch Länder wie England oder Israel einen hohen Wert darin sehen, an diesem Programm teilzunehmen. Bilaterale Abkommen und punktuelle Zusammenarbeiten können die Teilnahme am grössten Forschungsförderprogramm der Welt nicht ersetzen. Das heisst nicht, dass wir uns in Zukunft nicht noch internationaler aufstellen werden. Aber das muss zusätzlich und nicht als Ersatz zur Forschungszusammenarbeit in Europa passieren.
Ein anderer Vorschlag aus Basel-Stadt ist, dass die Universität eine Niederlassung im grenznahen Ausland eröffnen könnte, um den Zugang zum EU-Forschungsprogramm aufrecht zu erhalten.
Ich freue mich über kreative Ideen der Politik, aber dieser Vorschlag ist leider nicht realistisch. Es dauert viele Jahre, bis eine Universität in einem anderen Land akkreditiert ist. Auch glaube ich nicht, dass die beiden Trägerkantone und unsere Partneruniversitäten in Deutschland und Frankreich es schätzen würden, wenn wir unsere Aktivitäten ins Ausland verlagern würden.
Macht der Bundesrat genug, um eine Wiederanbindung an Horizon Europe zu erreichen?
Das ist eine sehr gute Frage. Wenn der Bundesrat einen konkreten Plan für eine Assoziation an Horizon Europe hat und sich etwas in diese Richtung bewegt, würden wir es alle sehr schätzen, etwas darüber zu erfahren. Das, was wir von aussen wahrnehmen, ist für uns Forschende unzureichend und frustrierend.
Glauben Sie, die EU wird die Abkopplung vom Schweizer Forschungsstandort wirklich zulassen?
Die EU ist auch in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite ist die Schweiz im Bereich Wissenschaft und Technologie eines der führenden Länder in Europa. Für Europa ist es ein Verlust, wenn wir nicht dabei sind. Auf der anderen Seite ist es für die EU schwierig, nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen einzelne Dossiers isoliert zu behandeln und damit institutionelle Fragen zu übersteuern. Wenn wir Horizon Europe voranbringen wollen, müssen wir sehr gut argumentieren, wieso eine Assoziation der Schweiz zum Forschungsrahmenprogramm in beiderseitigem Interesse ist. Der Ball liegt bei der Schweiz, diese Argumente zu liefern und einen Vorschlag zu machen, der auch die offenen institutionellen Fragen mit einbezieht.
Tun die schweizerischen Forschungseinrichtungen für Basel oder die anderen Universitäten in der Schweiz genug, um auf den Leidensdruck hinzuweisen?
Wir sind auf vielen verschiedenen Ebenen engagiert. Wir kontaktieren unsere Kolleginnen und Kollegen in Europa, wir versuchen mit Politikern lokal und in Bern zu reden. Während wir in der Region sehr viel Unterstützung spüren, scheint das Thema in Bern nicht besonders weit oben auf der Agenda zu stehen.
Leidet auch die Schweizer Wirtschaft von der Abkopplung von Horizon Europe?
Das europäische Rahmenprogramm ist eines der wenigen Forschungsprogramme weltweit, bei denen akademische Institutionen, Industrie und KMU auf Augenhöhe gemeinsam forschen können und unterstützt werden. Unter den Folgen des gescheiterten Rahmenabkommens leidet auch die Industrie. Wir schauen im Moment zu, wie Schweizer Unternehmen Tochterfirmen in Deutschland gründen. Ich halte das für die Region Basel langfristig für gefährlich.
Sehen Sie auch Nachteile für Schweizer Startups?
Schweizer Startups konnten sich bisher für direkte Finanzierungen durch die Europäische Union bewerben, und sie waren ausgesprochen erfolgreich damit. Da sind wir leider auch nicht mehr dabei. Wir müssen uns nun überlegen, ob wir Ersatzprogramme bilden können. Der Ständerat hat sich schon mal dafür ausgesprochen, und Innosuisse soll neu Innovationsprojekte von Startups fördern.
Die Assoziation der Schweiz an Horizon Europe ist also unerlässlich?
Ja, es gibt Dinge, die kann man nicht ersetzen. Ein Ersatzprogramm des Bundes zur Personenförderung bleibt nur ein Ersatz und ist nicht die Champions League. Ein anderes Beispiel: Wir haben in der Schweiz den nationalen Forschungsschwerpunkt Quantencomputing «SPIN». Aber wir können in Horizon Europe mit den europäischen Forschenden in diesem Bereich nicht mehr kollaborieren, denn bei der Quantenphysik schliesst die EU die Schweiz konsequent aus. Eine zeitnahe vollständige Assoziation an Horizon Europe liegt im ureigensten Interesse der Schweiz als führender Forschungs- und Industriestandort.
10.12.2021 - Paul Hofer
Auch hier gilt: Nichts neues aus dem Interview - es braucht aber Mut, Stellung zu nehmen oder anders ausgedrückt: Leadership und nicht von vorne herein ... "das wird wohl keine Chance beim Volk haben" ... ist das Leadership? Seit dieser Woche wissen wir auch, dass die Schweiz von der EU in denselben Topf wie die UK, EWR Staaten, Andorra, San Marino und Andorra "delegiert" wurde. Da helfen auch keine weitere Kohäsionsmilliarde ... Mut in der Oeffentlichkeit den EWR gegen den Vollbeitritt abwägen - Mut eben.