Welthandel noch stark vom Imperialismus geprägt

05.04.2024

Prof. Corey Ross, Professor für European Global Studies und Direktor des Europainstituts der Universität Basel, befasst sich mit der Geschichte der Umwelt und des Imperialismus.

Herr Ross, Sie sind seit Juni letzten Jahres Direktor des Europainstituts der Universität Basel. Was hat Sie dazu bewogen, von der University of Birmingham nach Basel zu wechseln?

Mein Nachname klingt zwar nicht so, aber meine Vorfahren stammten aus der Schweiz. Ich hatte also schon eine Verbindung zur Schweiz. Nach vielen Jahren in Birmingham wollte ich etwas Neues tun und hatte das Glück, nach Basel berufen zu werden. Beim Europainstitut stehen die Schweiz-Europa-Beziehungen im globalen Kontext im Fokus. Ich werde das Institut in diesem Sinne weiterführen. Wir haben hier Expertise in den Bereichen Recht, Wirtschaft, Philosophie, Politik und Geschichte. Dieser interdisziplinäre Austausch bereichert unsere Arbeit sehr und erweitert unsere Horizonte.

Mit welchen Themen befassen Sie sich in Ihrer Forschung?

Ich bin Historiker und beschäftige mich mit der Geschichte der Umwelt und des Imperialismus, also auch mit der Frage, wie die Umwelt – Pflanzen, Tiere, Böden, Klima – die Geschichte mitgestaltet hat. In meinem letzten Buch spielten zum Beispiel drei Kulturpflanzen eine wichtige Rolle. Bei der Baumwolle wollten Kolonialmächte, insbesondere Grossbritannien und Frankreich, unabhängig von den USA werden. Der Bedarf an Baumwolle war in Europa riesig, doch die Beschaffung während des amerikanischen Bürgerkriegs sehr problematisch. Deshalb wollten die Kolonialmächte indische und afrikanische Bauern dazu bringen, Baumwolle zu pflanzen. Dies ging meistens schief, teilweise aus ökonomischen Gründen, aber nicht zuletzt, weil die Baumwolle sich schlecht in den Arbeitsrhythmus der lokalen Agrarwirtschaften integrieren liess. Sie erforderte viel Arbeit zum selben Zeitpunkt des Jahres, zu dem auch die verschiedenen Getreidearten Aufmerksamkeit und Arbeit forderten. Zudem akklimatisierten sich Hochertragsbaumwollsorten in vielen Zielregionen schlecht.

Gibt es auch Beispiele, die funktionierten?

Im Vergleich dazu konnten sich Kakao und Kautschukpflanzen gut an die lokalen Arbeitsschritte anpassen. Kautschukbäume wurden aus Brasilien nach Südostasien, Kakao von Zentralamerika nach Westafrika gebracht. Für die Landarbeitenden bedeuteten sie keinen grossen Mehraufwand und konnten in den bestehenden Rodungskulturen effizient bewirtschaftet werden. Innerhalb von 20 Jahren waren die westafrikanischen Länder Hauptproduzenten von Kakao, der meistens von afrikanischen Kleinbauern angebaut wurde.


Waren auch Schweizer in diese Entwicklungen involviert?

Ja, sie investierten unter anderem in den Kakao. Zu den Ersten, die Kakaosamen nach Westafrika brachten, gehörten Vertreter der Basler Mission in den 1850er Jahren. Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren zudem in den grossen botanischen Gärten der Kolonien aktiv, zum Beispiel in Indien und Indonesien. Und Geologen der ETH waren im Auftrag von grossen Ölfirmen in Südostasien und im Nahen Osten im Einsatz. Als sie dort arbeiteten, sammelten sie viele Kulturobjekte und brachten diese in die Schweiz. Das Naturhistorische Museum in Basel hat noch viele dieser Objekte in seiner Sammlung.

Was ist aus heutiger Sicht so interessant an der Geschichte des Imperialismus?

Strömungen von Waren, von Wert und von Naturressourcen, die in der Kolonialzeit aufgebaut wurden, strukturieren noch immer den Welthandel. Die Produktionsbedingungen von vielen Rohstoffen sind in den Industrieländern ausser Sicht, und je mehr Menschen diese Produktionskosten aus den Augen verlieren und ihre Bedürfnisse mit Produkten aus fernen Gebieten abdecken, desto weniger kümmern sie sich um die Kosten. In Südostasien, Afrika und Lateinamerika gibt es viele Landstrecken, die verwüstet werden, um Kupfer, Palmöl und viele andere Dinge für europäische Märkte zu produzieren. Der ungleiche Austausch ist nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein ökologisches Phänomen. Wir Historiker können kaum gebrauchsfertige Lösungen für solche Probleme vorschlagen. Das überlasse ich den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachrichtungen. Dennoch ist es bei der Suche nach Lösungen wichtig zu verstehen, wie und warum diese Probleme überhaupt so dringlich geworden sind.

 
Corey Ross Über Welthandel, die Schweiz und Imperialismus - der neue Direktor des Europainstituts der Universität Basel, Prof. Corey Ross.

Der Beitrag erscheint im Rahmen unserer Reihe «Wissen schafft Wirtschaft» in Kooperation mit der Universität Basel.

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