«Es geht darum, das Virus einzudämmen»

28.09.2020

Manuel Battegay, Chefarzt Infektiologie & Spitalhygiene am Universitätsspital Basel, ist Co-Leiter der Covid-19-Taskforce des Universitätsspitals Basel, Professor für Infektiologie an der Universität Basel und im Leitungsteam der Swiss National Covid-19 Science Task Force. Er arbeitet seit 1988 im Bereich der Infektionskrankheiten und ist ein renommierter HIV-Experte.

Herr Battegay, Sie beobachteten von Anfang an die Verbreitung des Coronavirus in der Schweiz. Was haben Sie in den letzten neun Monaten über das Virus gelernt?

Das Virus wurde dank modernen Technologien unglaublich schnell, in nur einer Woche, dechiffriert. Bereits 66 Tage nach der Sequenzierung erhielt ein erster Proband eine Impfung innerhalb einer Studie. Wir konnten uns dank sehr vieler publizierten Daten, auch aus China, sehr schnell ein Bild von der Krankheit machen. So sahen wir bald, bei wem das Risiko grösser ist, schwer an Covid-19 zu erkranken.

Im März sagten Sie, dass uns Corona ohne Wirkstoff bis Ende 2021 beschäftigen wird. Stimmt diese Prognose noch?

Ja – leider; aber diese Prognose beinhaltete auch, dass das Schlimmste mit einer Impfung schneller vorbei sein würde. Wir werden Ende dieses Jahres bis ca. März wissen, ob und wie gut ein Impfstoff wirkt und auch ob dieser sicher ist. Dann werden mehrere grosse Studien erscheinen. Innerhalb des nächsten halben Jahres werden wir also viel mehr wissen. Dann dürfte eine oder mehrere Impfungen weltweit ausgerollt werden, was wiederum Monate in Anspruch nimmt.

Welche Erfahrungen konnten Sie in der Covid-19-Therapie sammeln?

Wir haben gesehen, dass gewisse Medikamente wie Hydroxychloroquin und Kaletra bei Covid-19-Patientinnen und Patienten nicht wirken. Bei Remdesivir, das gegen das Virus wirkt, zeigt sich zwar kein durchschlagender Erfolg, aber es verkürzt die Spitalaufenthaltsdauer. Möglicherweise senkt Remdesivir die Mortalität, wenn es genug früh, das heisst, nicht erst wenn Patientinnen und Patienten mechanisch beatmet werden, gegeben wird. In der Schweiz ist die Mortalität bei hospitalisierten Patienten maximal halb so hoch wie zum Beispiel in den USA und in Grossbritannien, dies dank der Spitzenmedizin mit interdisziplinären Betreuungsteams und sehr wahrscheinlich dank der ambulanten Medizin. Die Hausärztinnen und Hausärzte tragen sehr viel dazu bei, dass die Menschen bei uns in einem guten gesundheitlichen Zustand sind, selbst wenn sie viele Risikofaktoren wie Blutdruck oder Diabetes aufweisen.

Wie bereitet sich das Unispital auf die zweite Welle vor?

Während der ersten Welle hatten wir den medizinischen Betrieb, insbesondere das chirurgisch elektive, aber eben doch sehr wichtige Programm, reduziert und uns stark auf Covid-19-Patienten fokussiert. Dies war wegen der Belegungen auf der Intensivstation nötig. Wenn immer möglich, werden wir in der Schweiz keine entsprechenden starken Posterioritäten vornehmen. Insgesamt wird der Druck auf das Gesundheitswesen im Herbst und Winter fast sicher sehr gross sein, da wir davon ausgehen, dass wieder vermehrt Covid-19-Patienten hospitalisiert sind. Wir erwarten aber keine starke Grippewelle, da auch das Grippevirus mit den Präventivmassnahmen besser eingedämmt werden kann.

Sie sind im Leitungsteam der nationalen Covid-19-Task Force. Was beschäftigt Sie dort aktuell?

In der Task Force analysieren wir intensiv, in ehrenamtlicher Arbeit, aktuelle Daten und formulieren Empfehlungen an den Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit. Wir sind auch in regelmässigem Kontakt, um die Strategie und Prozesse ständig zu überlegen und nötigenfalls zu adaptieren. Es geht darum, das Virus möglichst stark einzudämmen, jedoch soziales und wirtschaftliches Leben zu ermöglichen. Unser Ziel ist es beizutragen, die Pandemie mit möglichst wenig medizinischem Schaden und möglichst viel wirtschaftlichem und sozialem Leben zu überstehen. Dabei halte ich einen Zickzackkurs, bei dem Massnahmen wiederholt bis zum Lockdown verschärft werden, nicht für gut – weder für die Bevölkerung noch für die Wirtschaft. Viel wichtiger ist es, mit einem Bündel an Massnahmen, an die sich Menschen auch halten, ein Niveau zu erreichen, bei dem die Infektionsrate tief gehalten wird. Wir müssen leider trotzdem akzeptieren, dass Menschen erkranken und an Covid-19 sterben können.

Manuel Battegay, Co-Chair an der Opening Session der Europäischen Aids Conference im November 2019 in Basel, an der über 3'400 Teilnehmende aus über 100 Ländern zusammenkamen.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation für die Risikogruppen?

Es gibt aktuell viele SARS-CoV-2-Infektionen, das ist besorgniserregend. Gut ist, dass es wenig Ansteckungen bei den vulnerablen Gruppen, zum Beispiel bei älteren Personen, gibt. Wir sollten Menschen in Altersheimen vor Ansteckungen schützen, ohne sie sozial zu isolieren. Da arbeiten viele Institutionen und Experten daran, Prävention gezielt zu verbessern. Auch hier sollen Menschen ungeachtet des Alters entscheiden können, ob sie Besuche haben oder ausgehen können – allerdings so, dass andere Menschen nicht gefährdet werden. Es braucht eine differenzierte, kritische Diskussion zum Umgang mit dem Coronavirus. Ich stelle aber fest, dass die föderalistische Demokratie der Schweiz eine starke Basis vor Überreaktionen oder einer Verharmlosung des Virus ist.

Welche Antworten kann die Wissenschaft den Menschen nicht abnehmen?

Risikowahrnehmung ist etwas sehr Persönliches – nicht zuletzt auch wegen der speziellen Risikofaktoren. Ich werde von zahlreichen Institutionen, aber auch Bekannten und Freunden um Empfehlungen für diverse Anlässe gebeten. Sicher diskutiere ich das aktuelle Wissen, dann aber vor allem das Abwägen des Risikos und die persönliche Risikowahrnehmung sowie eventuelle Folgen. Die gesetzlichen Vorgaben ermöglichen ja eine grosse Bandbreite an Umsetzungsmöglichkeiten – es gibt sehr viel Freiheiten. Es spielt zum Beispiel eine Rolle, ob ein Anlass drin oder draussen stattfindet, und ob dabei gesungen wird. Menschen müssen die Möglichkeit haben, nicht nur Schutzkonzepte mitzugestalten, sondern, wenn diese installiert sind, auch zu entscheiden, teilzunehmen. Der Umgang mit der Pandemie ist ein Lernprozess. Es geht darum, nicht einfach einzuschränken, sondern zu überlegen, wo ist was und wie möglich – und da kann und soll die Wissenschaft viele Entscheide nicht vorwegnehmen.

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