Die Rechtsunsicherheit am EuroAirport ist zurück
Seit einem Gerichtsentscheid des Pariser Kassationsgerichtshofes im März 2020 sind die Unternehmen im Schweizer Sektor unseres Flughafens mit einer schwierigen arbeitsrechtlichen Situation konfrontiert. Der pandemiebedingte Einbruch der Flugbewegungen verschärft die wirtschaftliche Lage zusätzlich. Die Handelskammer fordert deshalb mit Nachdruck die rasche Aufnahme von Verhandlungen zwischen der Schweiz und Frankreich für eine gerichtsfeste Lösung.
Als vor bald neun Jahren Bundesrat Didier Burkhalter und der französische Arbeitsminister Xavier Bertrand ihre Unterschrift unter den «Accord de méthode» setzten, atmeten die Unternehmen im Schweizer Sektor des EuroAirport auf. Nach jahrelangen Verhandlungen konnte endlich eine Einigung über das anwendbare Arbeitsrecht gefunden werden.
Seit der Pariser Kassationsgerichtshof im März 2020 entschieden hat, dass trotz Accord französisches Arbeitsrecht anwendbar bleibt, ist die Rechtsunsicherheit zurück. Die Unternehmen sehen sich mit einer schwierigen arbeitsrechtlichen Situation konfrontiert. Die aufgrund der Pandemie eingebrochenen Flugbewegungen haben die Lage wirtschaftlich stark verschärft. Für viele der über 4'000 Mitarbeitenden musste Kurzarbeit beantragt werden. Es drohen Arbeitsplatzverluste bis hin zu Massenentlassungen. Einige Kündigungen mussten bereits ausgesprochen werden, wodurch das Risiko neuer Rechtsstreitigkeiten steigt.
Ob der «Accord de méthode» vor Gericht Bestand haben würde, war stets offen. Leider hat sich nun gezeigt, dass er im Gerichtsfall die Rechtslage nicht gemäss der gemeinsamen Absicht von Frankreich und der Schweiz zu klären vermag. Die Handelskammer beider Basel als Trägerin der Koordinationsplattform Secteur Suisse EAP, einer Vereinigung der im Schweizer Sektor des Flughafens ansässigen Unternehmen, verfolgt deshalb seit längerer Zeit das Ziel, den «Accord de méthode» in Form eines Staatsvertrages zu verankern und damit gerichtsfest zu machen. Auch alternative Lösungen werden geprüft und diskutiert.
Der EuroAirport ist mit seinen flugnahen Industriebetrieben für die Region Basel eine eminent wichtige Verkehrsinfrastruktur und ein wichtiger und attraktiver Arbeitgeber. Die Erreichbarkeit eines Standorts ist ein wesentlicher Faktor für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand. Dies gilt es zu schützen. Die Handelskammer ist daher seit einiger Zeit sowohl hinter den Kulissen als auch auf parlamentarischer Ebene aktiv, um Verhandlungen für einen Staatsvertrag zu erwirken. Bereits im März 2020 reichte Handelskammer-Präsidentin Elisabeth Schneider-Schneiter im Nationalrat eine Interpellation ein, in welcher sie den Bundesrat fragte, was er unternehme, um eine rechtssichere Lösung herbeizuführen.
Auch die Regierungen der beiden Basel sind gefordert. Sie müssen im Interesse des Wirtschaftsstandortes Basel beim Bundesrat Druck für die Aufnahme von Verhandlungen mit Frankreich machen. Im Grossen Rat und im Landrat sind deshalb zwei gleichlautende Motionen eingereicht worden.
Mit vereinten Kräften, auch gemeinsam mit unseren Partnern in der französischen Nachbarschaft, muss mit aller Kraft eine rasche und gerichtsfeste Lösung angestrebt werden. Im Interesse unserer ganzen Region.
Luca Urgese, Leiter Finanzen und Steuern Handelskammer beider Basel und Geschäftsführer Koordinationsplattform Secteur Suisse EAP. Grossrat Kanton Basel-Stadt.
» Motion von Luca Urgese im Grossen Rat BS
» Motion von Simon Oberbeck im Landrat BL
Accord de méthode: Worum geht es genau?
Der EuroAirport befindet sich auf französischem Territorium. Daher kommt grundsätzlich französisches Recht zur Anwendung. Der Staatsvertrag von 1949 und weitere Vereinbarungen sehen für einzelne Rechtsgebiete jedoch die Anwendung von Schweizer Recht im Schweizer Sektor des Flughafens vor. Im Arbeitsrecht ist dies nicht der Fall.
Das europäische Übereinkommen von Rom von 1980 legt fest, dass bei vertraglichen Schuldverhältnissen, wozu auch Arbeitsverträge gehören, die Parteien das anwendbare Recht wählen können. Es gilt dabei allerdings die Einschränkung, dass von den zwingenden Vorschriften der Rechtsordnung am Arbeitsort nur abgewichen werden darf, wenn ein näherer Bezug zur gewählten Rechtsordnung nachgewiesen ist. Im Jahr 2010 wurde das Bestehen eines solchen näheren Bezuges vom Pariser Kassationsgerichtes abgelehnt, da es nicht ausreichend nachgewiesen worden sei.
Mit dem «Accord de méthode» wurde deshalb ein Rahmen geschaffen, in dem sich die Unternehmen bewegen können. Dieser Accord geht davon aus, dass die Arbeitsbedingungen durch den umfassenden Schutz der Arbeitnehmenden und das hohe Lohnniveau gleichwertig sind wie im französischen Arbeitsrecht.
Die Unternehmen haben die Arbeitszeit festzulegen, müssen die Vergütung von Überstunden und Überzeit regeln und dabei französische Mindestlohnvorschriften einhalten. Im Fall von Massenentlassungen sind bestimmte Anforderungen einzuhalten. Hingegen entfallen die französischen Höchstarbeitszeitregeln (35-Stunden-Woche) oder die Pflicht zur Einrichtung eines Betriebsrates. Im Streitfall zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist ein Mediationsverfahren vorgesehen.