«Die Folgen eines Neins wären fatal»

09.05.2019

Elisabeth Schneider-Schneiter warnt im Interview mit der Basellandschaftlichen Zeitung vor wirtschaftlichen Konsequenzen, sollte die Schweiz das EU-Waffenrecht ablehnen.

Frau Schneider-Schneiter, wann hatten Sie letztmals eine Waffe in der Hand?
Elisabeth Schneider-Schneiter: Am Feldschiessen 2007 auf der Schiessanlage Schürfeld als Landratspräsidentin.

Haben Sie mit der Waffe geschossen? Und getroffen?
Ich habe auf der 300-Meter-Distanz einen Kranz geschossen. Es war aber nicht unbedingt mein Verdienst, sondern jener meines guten Betreuers der Schützengesellschaft Biel-Benken.

Warum bewegt das Thema Waffen viele Menschen so sehr?
In der Schweiz sind aus meiner Sicht viele Personen mit dem Thema Waffen konfrontiert: sei es durch die Milizarmee, durch Schützenvereine oder durch das Jagen. Das Schiessen gehört in der Schweiz zur Tradition. Trotzdem haben wir einen grossen Respekt vor Waffen. Wir sind uns bewusst, dass Waffen gefährlich sind und der richtige Umgang mit ihnen umso wichtiger ist.

Verstehen Sie den Widerstand der Schützen gegen die EU-Richtlinie?
Grundsätzlich ja. Durch die teils erforderlichen Ausnahmebewilligungen, etwa die teils erforderliche Melde- und Nachweispflicht, sehen sie sich unter einem Generalverdacht, ihre Waffe nicht sachgemäss zu verwenden. Aber in Wirklichkeit ändert sich nicht sehr viel: Milizsoldaten können ihre Sturmgewehre nach dem Dienst übernehmen, im Schweizer Schiesssport dürfen nach wie vor halbautomatische Waffen mit einem grossen Magazin verwendet werden und es werden keine medizinischen oder psychologischen Tests eingeführt. Auch für Jäger ändert sich übrigens nichts. Sie können ihre Waffe wie bisher verwenden.

Aber müssen wir wirklich jede Richtlinie der EU übernehmen? Das Schweizer Waffenrecht hat doch bisher auch funktioniert.
Als Reaktion auf verschiedene Terroranschläge hat die EU im Jahr 2016 eine strengere Waffengesetzgebung ausgearbeitet und diese im Mai 2017 in Kraft gesetzt. Wir sind Teil des Schengen-Abkommens und verpflichtet, Weiterentwicklungen des Waffenrechts zu übernehmen. Tun wir das nicht, dann setzen wir die Zusammenarbeit mit den Schengen- und Dublin-Staaten aufs Spiel. Die Folgen wären fatal in Bezug auf die grenzüberschreitende Kriminalitätsbekämpfung, die Reisefreiheit und auf den Tourismus.

Haben Sie wirklich die Hoffnung, dass es dank des neuen EU-Waffenrechts zu weniger Gewalttaten kommt?
Dank des Schengen-Abkommens haben wir Zugriff auf die internationale Fahndungsdatenbank SIS (Schengener Informationssystem). 2018 hatte die Region Basel über 1'700 Fahndungstreffer. Dies ist im schweizweiten Vergleich eine hohe Trefferquote und auch auf den Flughafen zurückzuführen, weil dort systematische Personenkontrollen durchgeführt werden. Die internationale Zusammenarbeit ist deshalb sehr wichtig für uns. Und seien wir ehrlich: Mit den offenen Grenzen profitieren auch wir davon, wenn die Nachbarländer genauer hinschauen, wer eine halbautomatische Waffe besitzt.

Sie hoffen tatsächlich auf weniger Gewalttaten in der Schweiz?
Ein Blick auf die Statistik über Schusswaffentote zeigt, dass es in der Schweiz 1995 über 430 Schusswaffentote gab, 2016 waren es noch knapp 230. Die Zahl ist einerseits auf Grund der Anpassungen im Waffenrecht und andererseits durch Reformen der Armee hinsichtlich der Waffenübernahme rückläufig.

Es geht hier um das Waffenrecht. Sie aber befürchten bei einem Nein auch wirtschaftliche Folgen.
Das Schengen-Abkommen bringt uns Vorteile in der Reisefreiheit und im Tourismus. Ohne das Abkommen werden an der Grenze wieder systematische Personenkontrollen durchgeführt. Dies führt zu Staus und Verkehrschaos – nicht nur im Ferienreiseverkehr. Es bedeutet auch, dass über 55'000 Grenzgänger aus unserer Region Wartezeiten von durchschnittlich bis zu einer Stunde und 24 Minuten pro Tag in Kauf nehmen müssten, wie Experten geschätzt haben. Das kostet nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch Geld.

Staut sich der Personenverkehr, staut sich auch der Güterverkehr. Das betrifft die Schweizer Exportwirtschaft und unsere Unternehmen in der Region ganz direkt. Das sind massive Kosten, die die Wirtschaft unserer Region belasten würden. Reisende aus Drittstaaten benötigen zudem mit dem Schengen-Abkommen kein zusätzliches Visum mehr für die Schweiz. Wir sprechen hier von Russland, China, Indien oder den Golfstaaten, also sehr wichtigen Märkten. Die Anzahl der Reisenden aus Drittstaaten hat sich, seit die Schweiz bei Schengen mit dabei ist, mehr als verdoppelt. Ist die Schweiz nicht mehr Mitglied des Schengen-Abkommens, fällt sie auch aus dem einheitlichen Visa-Verbund. Das sind massive Ausfälle, die den Tourismus, inklusive der Restaurants, in unserer Region belasten würden.

Elisabeth Schneider-Schneiter, Nationalrätin und Präsidentin der Handelskammer beider Basel, fürchtet um das Schengen-Abkommen − und die Folgen einer Kündigung.

Internationale Fahndung, Grenzgänger, Tourismus: Malen Sie jetzt nicht gleich etwas gar schwarz? Wir sprechen eigentlich immer noch vom Waffenrecht, das übernommen werden soll.

Das ist das Gefährliche an dieser Vorlage. Es hängt viel mehr dran als auf den ersten Blick ersichtlich. Wir stimmen nicht nur über das Waffenrecht ab, sondern indirekt auch über die Fortsetzung des Schengener-Abkommens. Das Abkommen sieht vor, dass Weiterentwicklungen nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Passiert dies nicht, wird das Abkommen als beendet angesehen. Es braucht also keine Kündigung mehr - weder seitens der Schweiz noch seitens der EU.

Sie behaupten, wir würden aus dem Schengen-Raum gekippt, wenn wir nicht Ja sagen. Die Gegner sagen, dass die EU uns nicht rauswerfen wird. Was gilt denn nun?
Bei einem Nein zum Waffenrecht würde die Schweiz bereits gegen Ende dieses Jahres ihre Schengen-Mitgliedschaft verlieren. Nur der Gemischte Ausschuss könnte den Kündigungsprozess stoppen. Vertreter der EU-Mitglieder und der EU-Kommissionen müssten innerhalb von 90 Tagen einstimmig beschliessen, der Schweiz eine Extrawurst zuzugestehen. Die Betonung liegt hier auf einstimmig. Seien wir realistisch: darauf zu bauen ist angesichts der gegenwärtigen Lage weltfremd.

Mag ja alles sein. Was aber passiert in ein paar Jahren, wenn die EU das Recht wieder verschärft? Geht dann alles wieder von vorne los?
Das Besondere am Schengen-Abkommen ist, dass die Schweiz bei jeder Neuregelung mitreden kann. Und das hat sie in den vergangen Jahren schon mehrmals gemacht. Auch bei dieser Vorlage konnte der Bundesrat Besonderheiten für die Schweiz aushandeln, wie etwa für unsere Milizarmee. So können Schweizer Soldaten auch weiterhin ihre Ordonnanzwaffe ohne zusätzliche Auflagen nach Dienstende mit nach Hause nehmen. Und entgegen den ursprünglichen Absichten muss beispielsweise auch kein zentrales Waffenregister eingeführt werden.

Ich bin überzeugt, dass die Schweiz auch bei allfälligen zukünftigen Verschärfungen darauf achtet, die Schweizer Schiesstradition und die Besonderheiten der Milizarmee zu bewahren.

Das Interview ist erstmals in der Basellandschaftlichen Zeitung vom 9. Mai 2019 erschienen.

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